Byrne & Balzano 3: Lunatic
den Waschsalon. »Sie hat ihre Wäsche da drüben gewaschen. Und manchmal hat sie den Bus hier genommen.«
»Wann hast du sie zum letzten Mal gesehen?«
Emily zuckte mit den Schultern und kaute an einem Fingernagel.
Bontrager wartete, bis das Mädchen wieder den Blick zu ihm hob. »Es ist sehr wichtig, Emily«, sagte er. »Wirklich sehr wichtig. Und du brauchst dich nicht zu beeilen. Lass dir Zeit.«
Ein paar Sekunden später antwortete Emily: »Ich glaube, es war vor vier oder fünf Tagen.«
»Abends?«
»Ja. Es war schon spät.« Sie zeigte an die Decke. »Mein Zimmer liegt genau hier drüber, und das Fenster geht zur Straße.«
»War jemand bei ihr?«
»Ich glaube nicht.«
»Hast du hier sonst noch jemanden gesehen, der sie beobachtet hat?«
Emily dachte wieder kurz nach. »Ja, ich hab da jemanden gesehen. Einen Mann.«
»Wo stand er?«
Emily zeigte auf den Bürgersteig vor dem Haus. »Er lief ein paar Mal vor dem Fenster auf und ab.«
»Hat er hier an der Bushaltestelle gewartet?«, fragte Bontrager.
»Nein«, sagte sie und zeigte nach links. »Ich glaube, er stand in der Gasse. Ich dachte, er hätte sich vielleicht eine windgeschützte Stelle gesucht. Ein paar Busse kamen und fuhren wieder. Ich glaube nicht, dass der Mann auf den Bus gewartet hat.«
»Kannst du ihn beschreiben?«
»Ein Weißer«, sagte sie. »Glaub ich wenigstens.«
Bontrager wartete. »Du bist nicht sicher?«
Emily Miller warf die Hände in die Luft. »Es war dunkel. Ich konnte nicht viel sehen.«
»Ist dir aufgefallen, ob in der Nähe der Bushaltestelle Autos geparkt hatten?«, fragte Bontrager.
»Hier stehen immer Autos. Ich hab nicht darauf geachtet.«
»Kein Problem«, erwiderte Bontrager mit dem breiten Lächeln eines Farmerjungen. Das wirkte bei dem Mädchen Wunder. »Das war alles. Du warst großartig.«
Emily Miller schwieg. Sie errötete und wackelte mit den Zehen.
»Vielleicht muss ich noch einmal mit dir sprechen. Ist das okay?«
Das Mädchen nickte.
»Im Namen meiner Kollegen und des ganzen Philadelphia Police Departments möchte ich mich bei dir bedanken, dass du deine Zeit geopfert hast«, sagte Bontrager.
Emilys Blick wanderte von Jessica zu Byrne und zurück zu Bontrager. »Gerne«, sagte sie dann.
»Ich winsch dir en hallich, frelich, glicklich Nei Jaahr«, sagte Bontrager.
Emily lächelte und strich sich übers Haar. Jessica hatte das Gefühl, als hätte das Mädchen sich in Detective Joshua Bontrager verknallt. »Gott segen eich«, sagte Emily.
Das Mädchen schloss die Tür. Bontrager steckte seinen Notizblock ein und strich über seine Krawatte. »So«, sagte er. »Und jetzt?«
»Was war das für eine Sprache?«, fragte Jessica.
»Das war Pennsylvaniadeutsch. Ein deutscher Dialekt.«
»Und warum haben Sie mit ihr Pennsylvaniadeutsch gesprochen?«
»Weil das Mädchen eine Amische ist.«
Jessica hob den Blick zu dem Wohnzimmerfenster. Emily Miller hatte die Gardine ein Stück zur Seite gezogen und beobachtete sie durch den Spalt. Sie hatte sich schnell gekämmt. Offenbar hatte sie sich tatsächlich in Josh verknallt.
»Woher wussten Sie das?«, fragte Byrne.
Bontrager dachte kurz darüber nach. »Sie wissen, wie das ist, wenn man jemanden auf der Straße anschaut und sofort weiß, dass irgendwas mit ihm nicht stimmt?«
Jessica und Byrne wussten beide, was er meinte. Es war der sechste Sinn, über den Polizisten in der ganzen Welt verfügten. »Ja.«
»Das ist dasselbe bei den Amischen. Man weiß es einfach. Außerdem habe ich eine gelbe Steppdecke auf der Couch im Wohnzimmer gesehen. Ich kenne amische Steppdecken.«
»Was macht sie in Philly?«, fragte Jessica.
»Schwer zu sagen. Sie war modern gekleidet. Entweder ist sie aus der Kirche ausgetreten, oder es ist ihre Zeit des Rumspringa .«
»Was ist Rumspringa? «, fragte Byrne.
»Lange Geschichte«, erwiderte Bontrager. »Ich erzähle Sie Ihnen mal bei einer Buttermilch Colada.«
Er zwinkerte ihnen zu und lächelte. Jessica warf Byrne einen Blick zu.
Ein Punkt für den Amisch-Jungen.
Auf dem Rückweg zum Wagen dachte Jessica über die dringendsten Fragen nach. An erster Stelle standen die Fragen, wer Kristina Jakos getötet hatte und warum.
Doch es gab noch drei andere Fragen, auf die sie Antworten suchen mussten.
Erstens: Wo war Kristina, nachdem sie den City-Waschsalon verlassen hatte und bevor ihre Leiche an das Ufer des Flusses gesetzt worden war?
Zweitens: Wer hatte die Polizei verständigt?
Drittens: Wer hatte gegenüber
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