Byrne & Balzano 3: Lunatic
Überraschungen aller Art gefasst machen.
Tom Weyrich zog das Tuch weg. Kristina Jakos’ Leichnam war farblos. Ihre Muskulatur erschlaffte bereits. Jessica erinnerte sich, wie graziös und vor Gesundheit strotzend sie auf dem Videofilm in der Kirche ausgesehen hatte. Wie lebendig.
»Schauen Sie sich das an.« Weyrich zeigte auf eine Stelle auf dem Unterleib des Opfers, einen glänzenden weißlichen Fleck von der Größe einer Fünfzig-Cent-Münze.
Er schaltete das helle Oberlicht aus, nahm eine UV-Lampe in die Hand und schaltete sie ein. Jessica und Byrne sahen sofort, was er meinte: Auf dem Unterleib des Opfers war ein Kreis mit einem Durchmesser von ungefähr fünf Zentimetern. Von dort, wo Jessica stand – etwa einen Meter vom Leichnam entfernt –, sah es wie ein kreisrunder Fleck aus.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Eine Mischung aus Sperma und Blut.«
Damit änderte sich alles. Byrne schaute Jessica an. Jessica schaute Josh Bontrager an. Bontragers Gesicht war noch blasser geworden.
»Wurde sie sexuell missbraucht?«, fragte Jessica.
»Nein«, erwiderte Weyrich. »Keine Vaginal- oder Anal-Penetration.«
»Haben Sie sie auf eine Vergewaltigung hin untersucht?«
Weyrich nickte. »Ja. Negativ.«
»Der Killer hat sein Sperma auf sie ergossen?«
»Auch das nicht.« Weyrich nahm eine beleuchtete Lupe in die Hand und reichte sie Jessica. Sie beugte sich hinunter und betrachtete den Kreis, wobei sie ein flaues Gefühl im Magen spürte.
»Mein Gott!«
Auf den ersten Blick konnte man nur einen runden Kreis erkennen, doch durch die Lupe sah man sehr viel mehr. Es war eine detaillierte Zeichnung des Mondes.
Er stand nur da und starrte auf den Mond , hatte Will Pedersen gesagt.
»Das ist eine Zeichnung?«, fragte Jessica.
»Ja.«
»Mit Sperma und Blut gemalt?«
»Ja«, bestätigte Weyrich erneut. »Und es ist nicht das Blut des Opfers.«
»Das wird ja immer schöner«, sagte Byrne.
»Die Zeichnung ist so detailliert, dass der Täter Stunden gebraucht haben muss, um sie anzufertigen«, sagte Weyrich. »Wir warten auf die DNA-Analyse. Die Kollegen arbeiten unter Hochdruck daran. Sobald ihr diesen Kerl findet, können wir die Übereinstimmung der DNA feststellen und ihn festnageln.«
»Das hier wurde gemalt? Wie mit einem Pinsel?«.
»Ja. Wir haben in dem Bereich ein paar Fasern gefunden. Der Täter hat einen teuren Marderpinsel benutzt. Unser Täter ist ein richtiger Künstler.«
»Ein Holz bearbeitender, schwimmender, psychopathischer, masturbierender, den Pinsel schwingender Künstler«, murmelte Byrne.
»Die Fasern sind im Labor?«
»Ja.«
Das war gut. Sobald sie den Bericht über die Pinselborsten vorliegen hatten, konnten sie mit den Nachforschungen beginnen, was den Pinsel betraf.
»Wissen wir, ob diese Zeichnung vor oder nach dem Tod angefertigt wurde?«, fragte Jessica.
»Ich würde sagen, nach dem Tod«, erwiderte Weyrich. »Aber genau wissen wir es nicht. Da die Zeichnung so detailliert ist, und da wir im Blut des Opfers keine Barbiturate gefunden haben, vermute ich, dass sie nach dem Tod angefertigt wurde. Das Opfer war nicht unter Drogen gesetzt worden. Niemand könnte oder würde so ruhig sitzen bleiben, wenn er bei Bewusstsein wäre.«
Jessica schaute sich die Zeichnung genauer an. Es war die klassische Wiedergabe des Mannes im Mond, ähnlich dem alten Holzschnitt, der ein gütiges Gesicht zeigt, das auf die Erde hinunterschaut. Jessica dachte darüber nach, wie der Täter diese Zeichnung auf den Leichnam gemalt hatte. Der Maler hatte sich nicht sofort seines Opfers entledigt. Er war kühn. Und mit Sicherheit geisteskrank.
Jessica und Byrne saßen im Wagen, der auf dem Parkplatz stand. Beide waren erschüttert.
»Bitte sag mir, dass du so etwas zum ersten Mal gesehen hast«, sagte Jessica.
»Ja, es war das erste Mal.«
»Wir suchen einen Killer, der eine Frau auf der Straße kidnappt, sie erdrosselt, ihr die Füße amputiert und dann Stunden damit verbringt, den Mond auf ihren Bauch zu zeichnen.«
»Ja.«
»Mit seinem eigenen Sperma und Blut.«
»Wir wissen noch nicht genau, wessen Blut und Sperma es ist«, sagte Byrne.
»Danke, Partner. Ich dachte schon, wir hätten einen Anhaltspunkt. Ich hatte gehofft, er hätte sich einen runtergeholt, sich die Pulsadern aufgeschnitten und wäre verblutet.«
»So viel Glück werden wir kaum haben.«
Als sie auf die Straße fuhren, gingen Jessica vier Worte nicht aus dem Sinn:
Schweiß, Blut, Zucker, Salz.
Nachdem sie ins Roundhouse
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