Byrne & Balzano 3: Lunatic
schmaler Kanäle. Du hörst schallendes Lachen, plätschernde Wellen, die gegen kleine bunte Boote schlagen. Du riechst die typischen Gerüche eines Volksfestes – Donuts, Zuckerwatte, den Duft von Sauerbraten auf frischen Brötchen. Du hörst die fröhlichen Klänge der Dampforgel.
Und du fährst noch weiter, immer weiter, bis wieder vollkommene Stille herrscht. Jetzt ist es ein dunkler Ort. Ein Ort, an dem die Gräber die Welt erstarren lassen.
Hier wird Moon dich treffen.
Er weiß, dass du kommst.
71.
I m Südosten Pennsylvanias lagen zwischen verstreuten Farmen kleine Städte und Dörfer, in denen es zumeist nur ein paar Läden, zwei Kirchen und eine kleine Schule gab. Neben den expandierenden Städten wie Lancaster und Reading lagen hier idyllische Dörfer wie Oley und Exeter – Weiler, an denen die Zeit scheinbar spurlos vorübergegangen war.
Als sie Valley Forge durchquerten, wurde Jessica bewusst, wie schlecht sie das Land kannte, in dem sie lebte. Sie gab es ungern zu, doch als sie zum ersten Mal vor der Liberty Bell gestanden hatte, war sie schon sechsundzwanzig Jahre alt gewesen. Vermutlich ging es vielen Leuten so, die in der Nähe historischer Stätten lebten.
In Berks County gab es mehr als dreißig Postleitzahlen. Das Gebiet, dessen Postleitzahl mit 195 begann, war ziemlich groß und lag am südöstlichen Rand der County.
Jessica und Nicci fuhren über ein paar Nebenstraßen und fragten hier und da nach dem Farmhaus. Sie hatten darüber diskutiert, ob sie das örtliche Polizeirevier in ihre Suche einbeziehen sollten. Doch bei einem Fall wie diesem, der sie an einen Ort führte, der einer anderen Gerichtsbarkeit unterstand, würde das einen furchtbaren Papierkrieg nach sich ziehen. Daher behielten sie sich die Möglichkeit zwar vor, beschlossen aber, die Sache zunächst alleine durchzuziehen.
Sie erkundigten sich in kleinen Geschäften, an Tankstellen, an Straßenständen. An einer Kirche in der White Bear Road hielten sie an. Die Leute waren freundlich, aber niemand kannte das Farmhaus oder hatte eine Idee, wo es stehen könnte.
Um die Mittagszeit fuhren die Detectives Richtung Süden durch Robeson Township. Ein paar Mal bogen sie falsch ab und landeten auf einer holperigen, zweispurigen Straße, die sich durch den Wald schlängelte. Eine Viertelstunde später standen sie vor einer Kfz-Werkstatt.
Auf dem Platz ringsherum lagen verrostete Autowracks und Fahrzeugteile – Kotflügel und Türen, zerbeulte Stoßstangen, Motorblöcke, Aluminiumradkappen. Rechter Hand stand ein Nebengebäude: eine Wellblechhütte mit Schlagseite, die an den schiefen Turm von Pisa erinnerte. Alles war von Unkraut überwuchert, vernachlässigt und von grauem Schnee und Schmutz bedeckt. Hätte kein Licht in den Fenstern gebrannt und das Neonschild mit dem Schriftzug Mopar nicht geblinkt, hätte es ausgesehen, als wäre die Werkstatt aufgegeben worden.
Jessica und Nicci fuhren auf den Parkplatz, auf dem zahlreiche Schrottautos, Lieferwagen und Laster standen. Ein Wohnmobil war auf Ziegelsteinen aufgebockt. Jessica fragte sich, ob der Besitzer wohl darin lebte. Auf einem Schild über dem Eingang zur Werkstatt stand:
DOUBLE K AUTO – DOPPELT GUT
Eine alte, gelangweilte Dogge, die an einen Pfahl gekettet war, bellte einmal kurz, als die Frauen zum Haus gingen.
Jessica und Nicci traten ein. Die Werkstatt, die Platz für drei Fahrzeuge bot, war mit Autoteilen voll gestopft. Ein fettverschmiertes Radio auf der Theke spielte Tim McGraw. Es roch nach Motoröl, Fruchtbonbons und vergammelten Butterbroten.
Die Klingel an der Tür kündigte sie an, und nach ein paar Sekunden kamen zwei Männer auf sie zu. Es waren Zwillinge Anfang dreißig, beide in schmutzigen blauen Overalls. Beide hatten zerzaustes blondes Haar und schwarze Hände. Auf ihren Namensschildern stand Kyle beziehungsweise Keith .
Darum das Double K , vermutete Jessica.
»Hi«, sagte Nicci.
Keiner der beiden Männer antwortete. Stattdessen musterten sie Nicci und Jessica von oben bis unten. Nicci trat vor und zeigte ihnen ihren Ausweis. »Wir sind vom Philadelphia Police Department.«
Die Männer verzogen spöttisch die Gesichter. Und schwiegen.
»Es wäre nett, wenn Sie uns ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern würden«, fügte Nicci hinzu.
Kyle grinste und entblößte seine gelben Zähne. »Ich hab den ganzen Tag für dich Zeit, Schätzchen.«
Das kann ja heiter werden, dachte Jessica.
»Wir suchen ein Haus, das hier in der Nähe sein müsste«,
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