Byrne & Balzano 3: Lunatic
ich ...«, begann er. »Nein, Jessica.«
»Schon gut.« Sie trat vor und fühlte den Puls. Nach ein paar Sekunden spürte sie ihn. Der Mann lebte noch.
»Ruf den Sheriff an, Josh. Schnell.«
»Schon geschehen«, erwiderte Bontrager. »Er ist unterwegs.«
»Hast du deine Waffe?«
Bontrager nickte. Er zog seine Glock aus dem Halfter und reichte sie Jessica.
»Ich weiß nicht, was in dem Gebäude da drüben vor sich geht.« Jessica zeigte auf das Schulhaus. »Aber was es auch ist, wir müssen es beenden. Was immer es ist.«
»Okay.« Bontragers Stimme klang nicht so zuversichtlich wie seine Antwort.
»Bist du bereit?« Jessica überprüfte das Magazin. Voll. Sie drückte es wieder in den Schacht und lud die Waffe durch.
»Ja, es kann losgehen«, sagte Bontrager.
»Richte das Licht nach unten.«
Bontrager ging in gebückter Haltung voran und richtete die Taschenlampe auf den Boden. Sie waren keine dreißig Meter von der Schule entfernt. Als sie sich den Weg zwischen den Bäumen hindurch bahnten, versuchte Jessica, sich ein Bild vom Aufbau des Hauses zu machen. Das kleine Gebäude hatte keine Veranda und keinen Balkon. Vorne gab es eine Tür und zwei Fenster. An den beiden Seiten standen Bäume, die die Sicht behinderten. Unter einem Fenster lag ein kleiner Haufen Steine.
Als Jessica die Steine sah, ging ihr ein Licht auf. Es hatte sie seit Tagen nicht losgelassen, und jetzt endlich erkannte sie die Wahrheit.
Seine Hände.
Er hatte viel zu zarte Hände.
Jessica spähte durch die Spitzengardinen, die vor dem Fenster hingen, ins Innere, das nur aus einem Raum bestand. Im rückwärtigen Teil befand sich eine kleine Bühne. Hier und da standen ein paar Holzstühle. Anderes Mobiliar gab es nicht.
Überall brannten Kerzen, und an der Decke hing ein prunkvoller Kronleuchter.
Auf der Bühne stand ein geöffneter Sarg, in dem Jessica die Gestalt einer Frau erkannte. Sie trug ein erdbeerfarbenes Kleid. Jessica konnte nicht erkennen, ob die Frau noch atmete.
Ein Mann trat auf die Bühne. Er trug einen dunklen Frack, ein weißes Hemd mit spitzem Kragen, eine rote, in sich gemusterte Weste und eine bauschige schwarze Seidenkrawatte. Aus der Tasche seiner Weste hing eine Uhrenkette. Ein viktorianischer Zylinder lag neben ihm auf einem Tisch.
Der Mann beugte sich über den kunstvoll geschnitzten Sarg und betrachtete die Frau. Er hielt einen Strick in den Händen, der von der Decke hing. Jessica blickte den Strick entlang. Es war schwierig, durch das schmutzige Fenster etwas zu erkennen, doch als sie schließlich einen Überblick gewonnen hatte, lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken. Über der Frau hing eine große Armbrust, in der ein Stahlpfeil steckte, der auf ihr Herz gerichtet war. Die Armbrust war gespannt und mit dem Seil verbunden, das durch eine Öse in einem Balken gezogen war und bis auf den Boden reichte.
Jessica duckte sich und lief zu dem Fenster auf der linken Seite, das sauberer war. Als sie durch dieses Fenster spähte, konnte sie alles genau erkennen.
Beinahe wünschte sie sich, ihr wäre der Anblick erspart geblieben.
Die Frau im Sarg war Nicci Malone.
92.
B yrne und Vincent stiegen den Hügel hinauf und schauten von der Kuppe auf den Vergnügungspark hinunter. Das Mondlicht warf einen hellblauen Schimmer auf das Tal, und von hier oben hatten sie einen guten Überblick über die Anlage des Parks. Kanäle schlängelten sich zwischen den entlaubten Bäumen hindurch. An jeder Biegung standen eine oder zwei Märchenfiguren, die sechs, sieben Meter in die Höhe ragten. Einige sahen wie riesige Bücher aus, andere wie verzierte Hausfassaden.
Die Luft roch nach Erde, Kompost und verrottetem Fleisch.
Nur in einem Gebäude brannte Licht. Es war ein kleines Haus, kaum sieben mal sieben Meter groß, das am Ende des größten Kanals stand. Von ihrem Standort aus sahen sie Schatten in dem Licht. Sie sahen auch zwei Personen, die in die Fenster spähten.
Byrne entdeckte einen Pfad, der ins Tal führte. Er war größtenteils mit Schnee bedeckt, doch an beiden Seiten standen Wegmarkierungen. Byrne zeigte Vincent den Weg.
Die beiden Männer liefen ins Tal hinunter und gelangten kurz darauf in den Märchenpark StoryBook River.
93.
J essica öffnete die Tür und betrat das Haus. Sie richtete die Waffe nach unten, nicht auf den Mann auf der Bühne. Augenblicklich schlug ihr der modrige Geruch verwelkter Blumen entgegen. Der ganze Sarg war voller Blumen. Gänseblümchen, Maiglöckchen, Rosen,
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