Byrne & Balzano 3: Lunatic
natürlich.«
»Zurückzuholen?«
»Ja. In den Märchenpark StoryBook River. Hier wird alles abgerissen, wissen Sie das?«
Jessica sah keinen Grund, ihn zu belügen. »Ja.«
»Sie waren als Kind niemals hier, nicht wahr?«
»Stimmt«, sagte Jessica. »Ich bin noch nie hier gewesen.«
»Stellen Sie sich diesen zauberhaften Ort vor«, sagte Moon. »Heerscharen von Kindern kamen hierher. Ganze Familien. Vom Memorial Day im Frühjahr bis zum Labor Day im Herbst. Jedes Jahr. Jahr für Jahr.«
Beim Sprechen lockerte sich Moons Hand, die das Seil umspannte. Wieder warf Jessica einen raschen Blick auf Nicci. Diesmal sah sie, dass Niccis Brustkorb sich hob und senkte.
Wenn Sie Zauberei verstehen wollen, müssen Sie daran glauben.
»Und wer ist das?«, fragte Jessica und zeigte auf Nicci. Sie hoffte, dass der Verrückte ihre Taktik nicht durchschaute.
Ihre Hoffnung erfüllte sich.
»Das ist Ida«, sagte Moon. »Sie wird mir helfen, die Blumen zu begraben.«
Jessica hatte Die Blumen der kleinen Ida zwar als Kind gelesen, erinnerte sich aber nicht mehr an Einzelheiten des Märchens. »Warum begraben Sie die Blumen?«
Moon schien ein paar Sekunden lang verärgert zu sein. Er strich mit dem Zeigefinger über das Seil. Dann sagte er bedächtig: »Damit die Blumen nächsten Sommer schöner blühen als je zuvor.«
Jessica trat einen winzigen Schritt zur Seite. Moon bemerkte es nicht. »Wozu brauchen Sie die Armbrust?«, sagte sie. »Ich kann Ihnen helfen, die Blumen zu begraben, wenn Sie möchten.«
»Nett von Ihnen. Aber in dem Märchen hatten Adolf und Jonas Flitzebogen. Sie hatten kein Geld für Waffen.«
»Ich würde gerne mehr über Ihren Großvater erfahren.« Jessica bewegte sich langsam, vorsichtig ein Stück nach links. Wieder schien Moon es nicht zu bemerken. »Vielleicht können Sie mir etwas über ihn erzählen ...«
Augenblicklich traten Moon Tränen in die Augen. Das Thema schien ihm unangenehm zu sein, denn er wandte den Blick für einen Moment von Jessica ab, wischte die Tränen fort und schaute sie dann wieder an. »Er war ein großartiger Mann. Er hat den Märchenpark entworfen und mit eigenen Händen gebaut. Alle Schaukästen, alle Märchenfiguren. Er stammte aus Dänemark, wissen Sie, so wie Hans Christian Andersen. Er kam aus einem kleinen Dorf mit Namen Sonder-Oske. In der Nähe von Aalborg. Das hier ist der Anzug seines Vaters.« Er zeigte auf sein Kostüm, richtete sich auf und stellte sich in Pose. »Gefällt er Ihnen?«
»Ja. Er steht Ihnen sehr gut.«
Der Mann, der sich Moon nannte, lächelte. »Mein Großvater hieß Frederik. Wissen Sie, was der Name bedeutet?«
»Nein.«
»›Friedlicher Herrscher‹. Und genau das war mein Großvater – ein friedlicher Herrscher. Er hat über dieses friedliche kleine Königreich geherrscht.«
Jessicas Blick glitt an Moon vorbei. Auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes befanden sich zwei Fenster, auf jeder Seite der Bühne eins. Josh Bontrager schlich sich in diesem Augenblick zur Rückseite des kleinen Schulgebäudes. Jessica hoffte, Moon lange genug ablenken zu können, dass er das Seil für einen winzigen Moment losließ. Sie warf einen raschen Blick zum rechten Fenster: Josh war nicht zu sehen.
»Wissen Sie, was Damgaard bedeutet?«, fragte Moon.
»Nein ...« Jessica rückte noch ein bisschen nach links. Moon folgte ihr diesmal mit Blicken und trat ein Stück vom Fenster weg.
»Damgaard ist dänisch. Es heißt ›der Bauernhof am Teich‹.«
Jessica musste dafür sorgen, dass er weitersprach. »Das hört sich sehr romantisch an«, sagte sie. »Waren Sie schon mal in Dänemark?«
Moons Blick hellte sich auf; gleichzeitig errötete er. »Nein, nein. Ich habe Pennsylvania nur einmal verlassen.«
Um die Nachtigallen zu kaufen, dachte Jessica.
»Als ich klein war, waren für den Märchenpark StoryBook River schon schwere Zeiten angebrochen«, fuhr Moon fort. »Es gab sehr viele andere Orte – große, lärmende, hässliche Orte –, wohin die Familien stattdessen gingen. Für meine Großmutter war es sehr schwer.« Moon packte das Seil fester. »Sie war eine strenge Frau, aber sie hat mich geliebt.« Er zeigte auf Nicci Malone. »Das war das Kleid ihrer Mutter.«
»Es ist reizend.«
Ein Schatten am Fenster.
»Als ich nach der Sache mit den Schwänen in dieses schlimme Haus kam, hat meine Großmutter mich jedes Wochenende besucht. Sie hat den Zug genommen.«
»Die Sache mit den Schwänen? Sie meinen die Schwäne im Fairmount Park im
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