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Byrne & Balzano 4: Septagon

Titel: Byrne & Balzano 4: Septagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Montanari
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mir merken.«
    Keegan schob die Hände in die Taschen und wippte auf den Absätzen. »Wo ist der große Mann?«
    Jessica strich ihr Haar in den Nacken, zog ein Gummiband vom Handgelenk und band das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dann streifte sie Latexhandschuhe über.
    »Detective Byrne hat heute Nachmittag frei.«
    »Klasse«, knurrte Keegan. »Muss toll sein, diese lange Betriebszugehörigkeit erreicht zu haben.«
    Jessica lachte. »Was reden Sie da, Stan? Sie sind länger bei diesem Verein als jeder andere. Sie sollten jetzt im Kino sitzen und sich amüsieren.«
    Das stimmte. Niemand wusste genau, wann Stan Keegan bei der Polizei in Philadelphia angefangen hatte. Mit seinem weißen Haar, dem dicken Bauch, den O-Beinen und einem Gesicht, das an frisch gekochte Scampi erinnerte, sah er aus, als wäre er seit Gründung der Stadt dabei und gehörte sozusagen zum Inventar. Keegan witzelte oft, er habe damals zum Geleitschutz von William Penn gehört.
    »Das Kino heute taugt nichts mehr. Der letzte gute Film, den ich gesehen habe, war Der Sieger «, sagte Keegan.
    »Wann war das? 1920?«
    »1952. John Wayne, Maureen O’Hara, Barry Fitzgerald. John Ford hat Regie geführt. Der Film hat zwei Oscars bekommen. Der beste Film, der je gedreht wurde«, sagte Keegan im Brustton der Überzeugung.
    Jessica wollte ihn aus reiner Biestigkeit fragen, ob er auch wüsste, wofür der Film die Oscars bekommen hatte, ließ es dann aber: Keegan wusste es sowieso. Sie trat näher an das Loch heran und spähte hinein. Viel konnte sie nicht sehen. »Waren Sie da unten?«
    Keegan schüttelte den Kopf. »Dafür werde ich nicht bezahlt. Außerdem habe ich eine unglaublich niedrige Toleranzschwelle, wenn es sich um den Anblick von Leichen handelt. Das war schon immer so.«
    Jessica erinnerte sich an ihre Zeit in Uniform, als sie mehr als einen Tatort hatte absichern müssen. Ihr war jedes Mal ein Stein vom Herzen gefallen, wenn die Detectives aufgetaucht waren. »Verstehe.«
    »Sagen Sie mal, Detective ...«
    »Ja?«
    »Bin ich deshalb homophob?«, fragte Keegan.
    »Nur wenn der Tote schwul war, Stan.«
    »Na, Gott sei Dank.«
    Jessica kniete sich auf den Boden. Eine Leiter gab es hier nicht, aber das war vermutlich kein Problem, denn der Kriechkeller war höchstens eins zwanzig tief. »Sind Sie sicher, dass ich Sie nicht für diesen einen Nachmittag befördern kann?«, fragte Jessica.
    Sie sah, dass Keegan unmerklich einen Mundwinkel verzog. Bei ihm kam das einem hysterischen Lachanfall gleich. »Nein, danke.«
    »Okay.« Jessica atmete tief ein. »Am besten, ich bringe die Sache schnell hinter mich, nicht wahr?«
    »Dia duit , Detective.«
    Soviel Jessica wusste, war das Gälisch und hieß: »Gott sei mit dir.« Da in den meisten amerikanischen Großstädten von jeher viele Iren in den Polizeidienst eingetreten waren, hatten die Cops eine ganze Reihe gälischer Traditionen und Ausdrücke übernommen, auch wenn die einzige Verbindung, die sie zur irischen Lebensart hatten, der Irish Coffee war, den sie tranken. Jessica hatte schon oft gehört, dass schwarze und lateinamerikanische Officers irische Redensarten zum Besten gaben, meistens allerdings erst bei der letzten Runde in ihrer Stammkneipe.
    »Danke, Stan.«
    Jessica schwang die Beine über den Rand und blieb einen Moment dort sitzen. Die von den Polizisten aufgestellten Scheinwerfer im Kriechkeller unter ihr warfen gelbes, gespenstisches Licht und lange Schatten auf den Lehmboden.
    Jessica fragte sich, woher die Schatten kamen. Sie schaute genauer hin und sah die undeutlichen Konturen von drei großen Kisten im Gegenlicht der Polizeileuchten.
    Drei Kisten in einem Kriechkeller.
    Und ein weibliches Mordopfer.
    Jessica sprach ein stummes Gebet und ließ sich vorsichtig auf den Boden hinunter.

22.
    B YRNE STAND AN der Ecke Zwanzigste und Market Street. Es war Mittagszeit, und auf den Straßen herrschte reges Treiben.
    Byrne starrte auf sein Handy. Er hatte es ausgeschaltet. Das sollte er zwar nicht, aber er hatte heute einen halben Tag frei, und den nahm er sich auch. Er konnte ja trotzdem über den Fall nachdenken, auch wenn er nicht im Dienst war. Byrne konnte sich nicht erinnern, wann er seinen Job jemals völlig vergessen hatte; in den letzten fünfzehn Jahren jedenfalls nicht. Seinen letzten – einwöchigen – Urlaub hatte er in den Poconos verbracht. Und an was hatte er gedacht, als er auf einem knarrenden Terrassenstuhl saß und Old Forester aus einem Marmeladenglas trank?

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