Byrne & Balzano 4: Septagon
Vorstellungen über Ihre berufliche Zukunft?«
Ein Blick in Officer Carusos Gesicht verriet Jessica, dass die junge Polizistin bereits darüber nachgedacht hatte. Jessica spürte aber auch, dass Maria nicht einfach mit der Antwort herausplatzen wollte. »Ja«, sagte sie. »Ich habe ganz konkrete Vorstellungen, Ma’am.«
In diesem Augenblick sah Maria Caruso im diffusen Sonnenlicht der Gasse wie sechzehn aus. Verschwinde von hier, Mädchen, dachte Jessica. Häng den Job an den Nagel und hau ab. Werde Anwältin oder Architektin oder Chirurgin oder Countrysängerin. Dann bist du mit fünfzig noch gesund und fit.
»Was würden Sie denn gerne machen?«, fragte Jessica. »In welcher Abteilung würden Sie gerne arbeiten?«
Maria Caruso errötete. »Ich möchte natürlich zur Mordkommission«, erwiderte sie lächelnd. »Wie alle anderen. Wie auch Sie.«
Oje, dachte Jessica. Nein, nein, nein. Sie musste sich diese junge Frau einmal im Finnigan’s Wake zur Brust nehmen und ihr die Sache erklären. Doch Jessica beschloss, es vorerst dabei bewenden zu lassen. Sie schaute zur Tür. »Ich muss jetzt rein.«
»Ja, sicher«, sagte Officer Caruso und blickte auf die Uhr. »Ich muss auch los. Ich muss meine Tochter abholen.«
»Sie haben eine Tochter?«
Maria Caruso strahlte. »Carmen. Sie ist zweiundzwanzig Monate alt, und die Zeit vergeht wie im Flug.«
Jessica lächelte. Zweiundzwanzig Monate. So drückte sich eine junge Mutter aus, die sich an das Säuglingsalter ihres Kindes klammerte. Jessica hatte es genauso gemacht. »Okay, und danke noch mal für die gute Arbeit.«
»Gern geschehen.« Officer Caruso streckte die Hand aus, worauf die beiden Frauen sich ein wenig zaghaft die Hände schüttelten. Dann drehte Jessica sich um und ging über den glühend heißen Bürgersteig auf das Haus zu. Sie nahm ihr Notizheft heraus, schaute auf die Uhr und notierte die Zeit. Dann zog sie das Gummiband stramm und ließ es sofort wieder los. Noch eine alte Angewohnheit.
Als Jessica die Schwelle überschritt, drehte sie sich um und sah, dass Maria Caruso in ihren Privatwagen stieg, einen zehn Jahre alten Honda Accord. Die Karosserie rostete an allen Ecken und Enden, eine Radkappe fehlte, und ein zersprungenes Rücklicht war provisorisch mit Tesa geklebt.
Ich möchte natürlich zur Mordkommission. Wie alle anderen. Wie auch Sie.
Das solltest du dir noch mal gut durch den Kopf gehen lassen, Maria.
Jessica unterschrieb das Tatortprotokoll und betrat das Haus. Obwohl sie erst gestern hier gewesen war, sah das Innere völlig verändert aus. Es war jetzt beinahe vorzeigbar. Zumindest hätte man es jemandem zeigen können, der mit dem Gedanken spielte, das Haus zu renovieren. In den Wänden waren nach wie vor faustgroße Löcher, und alles war noch immer von einer dicken Fett- und Schimmelschicht überzogen. Doch der Müll war zum größten Teil abtransportiert worden, wodurch auch neunzig Prozent der Fliegen verschwunden zu sein schienen.
Jessica durchquerte den Eingangsbereich und stieg die schmale Holztreppe ins Untergeschoss hinunter, das nun von den Scheinwerfern der Polizei hell erleuchtet war. Der Boden war nicht aus Beton gegossen, wie sie zuerst vermutet hatte, sondern bestand aus Holzbrettern. Früher waren sie in dunklem Weinrot gestrichen, nun verrotteten sie, und an den Stellen, an denen die Farbe abblätterte, schimmerte ein hässliches Aschgrau durch. Die Wände bestanden aus nacktem Beton. Die Decke war nicht verkleidet, sodass die kreuz und quer angeordneten, von dicken Spinnweben überzogenen Balken zu sehen waren.
Jessica sah sofort das, was sie hierher geführt hatte. Mitten im Boden war ein Loch. Daneben lag eine viereckige Sperrholzplatte, vermutlich die Falltür. In die Mitte der Tür war ein Loch gebohrt. Weder die Falltür noch die Aussparung waren exakt quadratisch.
Der aufgerollte Teppich stand an der Wand.
Zurzeit hielt sich nur eine weitere Person im Keller auf, ein Streifenpolizist namens Stan Keegan, ein erfahrener Beamter. Er stand neben der Falltür, die Hände auf dem Bauch gefaltet, und nickte Jessica zu. »Tag, Detective.«
»Hallo, Stanley«, sagte sie. »Gut sehen Sie aus. Haben Sie abgenommen?«
»Neunhundert Gramm in den letzten zwölf Tagen. Das ist fast ein Kilo.«
»Wahnsinn«, sagte Jessica. »Was ist Ihr Geheimnis?«
»Fettfreie Croûtons«, sagte Keegan. »Sie glauben gar nicht, wie sehr der regelmäßige Verzehr von Croûtons die Kalorienmenge in die Höhe treibt.«
»Ich werd’s
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