Byrne & Balzano 4: Septagon
wodurch die Kisten von Jessicas Standort aus ein großes C bildeten. Ihre Seitenlänge betrug ungefähr fünfundsiebzig Zentimeter. Alle hatten andere Farben. Eine war gelb, eine blau und eine rot.
Die drei Quadrate auf der Seite in der Bibel, dachte sie. Das rote, blaue und gelbe Quadrat.
Jessica betrachtete die erste Kiste, die gelb angestrichen war. Sie sah, dass die Kiste geöffnet worden war, denn zwischen dem Deckel und den Seiten klaffte ein kleiner Spalt von vielleicht zwei Zentimetern. Der Gedanke, dass vermutlich Officer Caruso diese Kiste geöffnet hatte, beunruhigte Jessica, denn das war ein grober Verstoß gegen die Vorschriften. In einer Situation wie dieser mussten alle Vorsichtsmaßnahmen befolgt werden.
Jessica öffnete behutsam den Deckel. Das Knarren der Scharniere klang überlaut in der tiefen Stille. Sie richtete den Lichtstrahl ihrer Taschenlampe in die Kiste.
Was sie sah, war ein Albtraum.
Der Leichnam war stark verwest. Er war mit einem paillettenbesetzten roten Pullover bekleidet. Jessicas Blick glitt über die großen silbernen Ohrringe und die schwarze Kette mit dem Onyx-Anhänger. Diese Kette hatte Jessica schon einmal gesehen. Sie wusste, wer die Tote war. Sie hätte gleich darauf kommen können.
Es war das Mädchen auf dem Foto, das sie in der Bibel gefunden hatten. Das Mädchen, dessen Schicksal untrennbar mit dem von Caitlin O’Riordan verbunden war.
Das Mädchen, das sie finden sollten.
24.
E R HATTE P ATRICIA GEBADET , was dringend nötig gewesen war, hatte ihr die Haare gewaschen und mit einer Pflegespülung gespült. Dabei hatte er den Blick abgewendet, so gut es ging, damit das Mädchen nicht glaubte, er sei schamlos oder sogar geil.
Er benutzte ein Minzshampoo von Origins.
Wiederherstellung , dachte er lächelnd. Wobei ein Gegenstand in seinen ursprünglichen Zustand zurückversetzt wird.
Als sie fertig waren, fuhr er Patricia im Rollstuhl den Gang hinunter. Sie war noch immer ziemlich erschöpft. Er hatte sie mit einer weiteren Brisette betäubt, einer der mit Chloroform gefüllten Ampullen. In den Siebzigern hatte sein Vater Hunderte davon bei einer Engländerin gekauft, die als Hebamme arbeitete. Joseph kannte die Wirkung nur zu gut.
»Sitzt du bequem, meine Liebe?«
Patricia drehte sich langsam zu ihm um und schwieg.
Sie betraten das Nähzimmer im ersten Stock. Es war eines von Josephs Lieblingszimmern und von der Fußleiste bis etwa zur Mitte der Wände mit einer Blumentapete aus Moiréseide tapeziert. Doch dieses Zimmer war nicht nur schön, es war magisch. Wenn man auf einen Knopf drückte, der hinter einer Reproduktion von William Beattie-Browns Golden Highlands verborgen war, glitt die rechte Wand nach oben. Dahinter lag ein kleiner Raum mit Blick auf die Rückseite des Grundstücks. Wenn man auf einen anderen Knopf drückte, der sich unter dem Spiegelglasfenster befand, öffnete sich eine kleine Falltür hinter dem Diwan. Swann hatte beide Knöpfe noch nie benutzen müssen.
Er setzte Patricia vor den Fernseher, drückte auf der Fernbedienung auf PLAY und schaltete den Videorekorder ein.
»Pass auf, jetzt kommt Great Cygne«, sagte Swann.
Er hatte das ganze alte Filmmaterial – leider war es sehr wenig, ging aber zurück bis zu den frühen Auftritten seines Vaters im Jahre 1948 – vor vielen Jahren auf Videobänder überspielen lassen. Die ursprünglichen 8-mm-Filme waren spröde geworden, und er hatte eine Firma in Süd-Philadelphia gefunden, die alte Amateurfilme auf CD, DVD und Video kopierte.
Das erste Bild zeigte seinen Vater als blutjungen Mann von etwa zwanzig Jahren. Ein Entertainer deutscher Abstammung, der Ende der Vierzigerjahre in New York City auftrat. Wie mutig er gewesen sein muss, dachte Joseph.
Nach einem raschen Schnitt tauchte sein Vater mit ungefähr achtundzwanzig Jahren wieder auf. Jetzt saß er mit fünf anderen an einem Tisch in einem Nachtclub. Es war eine statische Aufnahme aus einem hohen Winkel. Las Vegas in den späten Fünfzigern. Der beste Ort in einer der besten Zeiten der Geschichte. Great Cygne präsentierte einem entzückten Publikum ein paar Münzentricks. Er zeigte Vier Münzen in einem Glas, die Fliegenden Adler, die Wandernden Centavos . Mit einer raschen Bewegung riss er einen Sektkübel von einem vorbeifahrenden Servierwagen und führte eine Variante vom Traum des Geizigen vor.
Die nächsten Bilder reihten sich in schneller Folge aneinander: ein Club in Amsterdam, eine Hinterhofparty in Midland Texas, eine
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