Byrne & Balzano 4: Septagon
Ende zwanzig, hatte er angeblich den Pfad der Tugend beschritten. Der Staat hatte ihm einen Job im Shrimp Dock besorgt, wo er den Fisch frittierte, und ein Zimmer in einem Wohnheim in der Nähe.
Als Jessica und Byrne das Hinterzimmer des Shrimp Dock betraten, fiel ihnen sofort auf, dass die Tür weit geöffnet war. Dann sahen sie, dass ein Mann – zweifellos Ignacio Sanz – wie ein geölter Blitz über den Parkplatz flitzte.
Jessica, die eines ihrer guten Kostüme trug – ein hübsches Tahari mit kurzer Jacke, das sie bei Macy’s gekauft hatte –, schaute ihren Partner an.
Byrne zeigte auf sein rechtes Bein. »Mein Ischias.«
»Oh Scheiße! «
Als Jessica Ignacio Sanz überwältigte, hatte er fast die halbe Strecke bis Atlantic City zurückgelegt.
Hinten im Shrimp Dock gab es einen kleinen, mit Gerümpel vollgestellten Raum, in dem die Angestellten ihre Pausen verbrachten. An den Wänden hingen wasserfleckige, gewellte Poster, auf denen die verlockenden Speisen abgebildet waren: hellblauer Schellfisch, grauer Kohlsalat, matschige Pommes.
Ignacio »Iggy« Sanz war ein kleiner dürrer Mann mit hohler Brust und Aknenarben auf den Wangen. Er sah aus, als wäre er mit einer dicken Schicht Fischfett überzogen, was seiner Haut einen unnatürlichen Schimmer verlieh. Iggy hatte die kleinsten Füße, die Jessica je bei einem erwachsenen Mann gesehen hatte. Er trug dünne schwarze Seidensocken unter wasserblauen Turnschuhen. Jessica fragte sich, ob es Damenschuhe waren.
Er war mit der gleichen rot-blauen Uniform bekleidet wie das Mädchen hinter der Theke, nur trug er statt einer Kappe ein Haarnetz auf dem Kopf, das bis zu den Augenbrauen reichte. Das alles war jetzt ramponiert und voller Dreck, nachdem Iggy bis gerade eben auf der schmutzigen Erde gelegen hatte.
Byrne setzte sich ihm gegenüber, während Jessica hinter ihm stand. Für Ignacio war das keine schöne Situation. Er hatte Angst vor Jessica, und das aus gutem Grund.
»Ich bin Detective Byrne von der Mordkommission in Philadelphia.« Byrne zeigte über Ignacios Schulter. »Das ist meine Partnerin, Detective Balzano. Sie erinnern sich sicher an sie. Sie war diejenige, die Sie gegen den Chevy gepresst und nach Waffen durchsucht hat.«
Ignacio rührte sich nicht.
»Ich möchte, dass Sie ihr zwanzig Dollar geben«, sagte Byrne.
Iggy sah aus, als hätte Byrne ihm einen Faustschlag verpasst. »Was?«
»Sie müssen ihr die Strumpfhose ersetzen. Geben Sie ihr zwanzig Dollar.«
Jessica senkte den Blick. Sie hatte sich ein großes Loch in das rechte Knie ihrer Strumpfhose gerissen, als sie Iggy auf den Boden geworfen hatte.
»Strumpfhosen kosten zwanzig Dollar?«, fragte Iggy.
Byrne schaute Iggy tief in die Augen, worauf dieser merklich zusammensackte. »Meinen Sie nicht, meine Partnerin hat nur das Beste verdient?«
Ohne etwas zu erwidern, wühlte Iggy zitternd in seinen Hosentaschen, zog ein feuchtes Geldbündel heraus und zählte die Scheine ab. Vierzehn Dollar. Er strich sie auf dem Tisch glatt, legte sie aufeinander und reichte sie Jessica. Diese nahm das Geld, ohne zu zögern, fragte sich allerdings, wo die Scheine vorher gelegen hatten.
»Sie können sich den Rest später abholen, okay?«, sagte Iggy. »Ich bekomme heute meine Kohle, dann hab ich genug.«
»Abholen?«, fragte Byrne. »Wie kommen Sie darauf, dass wir Sie nicht mitnehmen?«
Auf den Gedanken war Iggy offenbar gar nicht gekommen. »Aber ich habe nichts getan!«
Byrne lachte. »Glauben Sie, das interessiert mich?«
Auf diesen Gedanken war Iggy ebenfalls nicht gekommen. Jedenfalls saß er in der Scheiße. Iggy starrte auf den Boden und schwieg.
»Meine Partnerin wird sich jetzt mit Ihnen unterhalten«, sagte Byrne. »Ich möchte, dass Sie sich anständig benehmen und ihr genau zuhören.«
Byrne stand auf und hielt den Stuhl fest. Jessica setzte sich. Sie schaute auf ihr nacktes Knie und das große Loch in ihrer Strumpfhose und dachte: Gibt es irgendetwas, das schlampiger aussieht als eine zerrissene Strumpfhose?
»Ich stelle Ihnen jetzt ein paar einfache Fragen«, wandte sie sich dann an Iggy. »Und Sie sagen die Wahrheit, in Ordnung?«
Ignacio Sanz hatte keine Ahnung, was auf ihn zukam. Nachdem sein bisheriges Leben aus einer Aneinanderreihung von Verbrechen, Vernehmungen, Gerichtsverhandlungen, Gefängnisstrafen, Bewährungsfristen und Rehabilitationen bestanden hatte, konnte ihm alles Mögliche blühen. »Ja, Ma’am.«
Jessica griff in ihre Aktentasche und zog eine Mappe
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