Byzanz
nicht auf der Vierung, sondern auf den Armen des Lichtes ruhte.
Selbst wenn sie alle vergingen, die Hagia Sophia würde bleiben. Auch wenn man sie zu einer Moschee erniedrigen würde, dachte Loukas, würde sie dennoch als die Kirche der Trinität weiterbestehen, denn sie war der Heiligen Weisheit gewidmet, die in Christus lebte. Loukas liebte diese Kirche mit ihrer gewaltigen Ikonostase, den Bildern, die den Malern vom Heiligen Geist eingegeben worden waren und die deshalb zwischen den Menschen und der Ewigkeit standen. Er benötigte Zeit, ehe er zwischen den vielen Frauen, Kindern und alten Männern seine Familie entdeckte. Da kniete und betete sein wahrer Reichtum. Hatte er das zuweilen in der Hast der Politik und dem schnellen Lauf der Geschäfte vergessen? Eirene kniete inmitten der Kinder. Neben ihr die dreißigjährige Theodora, die mit Demetrios Kantakuzenos verheiratet war, auf der anderen Seite der siebenundzwanzigjährige Mitri, neben ihm der einundzwanzigjährige Nikolaos, der so alt war wie der verfluchte Mehmed. Wo aber war Jakub, das Nesthäkchen, der Nachzügler mit seinen dreizehn Jahren? Er kniete vor seiner Mutter. Nur Anna lebte in Venedig und erfüllte ihre Aufgaben prächtig. Sie fehlte ihm, doch er war froh, dass sie in Sicherheit war. Wenigstens sie, dachte Loukas, und dieser Gedanke tröstete ihn. Er kniete sich zu Eirene und küsste ihre Stirn. Sie lächelte still.
»Verzeih mir, verzeih mir von ganzem Herzen«, flüsterte er in ihr Ohr.
»Wofür?«, flüsterte sie zurück.
»Weil ich uns in diese Lage gebracht habe. Vielleicht hatte dieser Alexios Angelos recht, dass man die Türken bekämpfen muss und nicht ihnen vertrauen durfte. Mit Sicherheit waren deine Zweifel berechtigt. Ich hätte öfter mit dir reden sollen.« Für die Fähigkeit, sein Denken infrage zu stellen, hatte sie ihn geliebt. Er hatte sie verloren und das hatte sie bedrückt, doch nun gewann er sie offensichtlich zurück.
»Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Außerdem hattest du dreißig Jahre lang recht. Denk nur über das nach, was jetzt zu tun ist. Du hast mir einmal versprochen, dass dein Arm immer stark genug sein wird, uns zu verteidigen.«
»Und bei Gott, das ist er.« Eirene stand auf, Loukas tat es ihr gleich. Leicht legte sie ihre Lippen auf seine, um die Wärme seines Blutes zu spüren. Er küsste sie lang und innig. »Ist es zu spät für noch ein Kind?«, fragte er sie zwischen zwei Küssen.
»Vertreibe erst die Türken, dann will ich darüber nachdenken«, erwiderte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. Er wollte sie noch einmal küssen, doch sie legte ihm die Hand auf die Lippen. »Erfüll erst deine Pflicht, dann erhältst du deinen Lohn, du Räuber.«
Er nickte. »Mitri und Nikolaos, kommt!« Die beiden jungen Männer sprangen auf und folgten ihrem Vater. In seinem Rücken fühlte er den liebevollen Blick seiner Frau. Er wandte sich noch einmal zu ihr um. Diesen Blick wollte er mitnehmen.
In der Malerklause des verstorbenen Malermönches Dionysios im Nebengebäude der Kirche verrichtete Demetrios zur gleichen Zeit das Herzensgebet. Mit seinen gelähmten Fingern konnte er ohnehin nicht kämpfen, deshalb hatte er beschlossen, nach Jahren der Abstinenz wieder eine Ikone zu malen für den Sieg der Griechen gegen ihre Bedränger.
Loukas hatte Rüstung und Schwert angelegt, desgleichen seine Söhne. Sie begaben sich zum kaiserlichen Palast. Im Vestibül bat er Mitri und Nikolaos, auf ihn zu warten, und stieg die Treppe hinauf zum Geheimen Besprechungssaal. Vor dem Eingang traf er auf Alexios Angelos. Die beiden Männer schauten einander an, doch keiner hatte dem anderen etwas zu sagen.
Konstantin stand vor dem kleinen Thron. Der Ernst verschönerte sein hageres Gesicht mit den ebenmäßigen Zügen und dem dunklen Teint. Seine große Erscheinung verstärkte den majestätischen Eindruck, den er in dem recht niedrigen Saal hervorrief.
»Meine Herren, zuerst eine traurige Nachricht. Vor ein paar Wochen ist in Mistra der Philosoph Georgios Plethon fast hundertjährig verstorben.« Die Männer erhoben sich und gedachten in Stille des Philosophen, auch die, die ihn für einen gefährlichen Mann hielten, weil er das Heidentum wieder einzuführen gedachte. Nur Alexios pries in seinem Herzen die Gnade Gottes, dass er dem Meister ersparte, zu sehen, was nun folgen würde. Ach, warum waren sie damals nicht stark genug gewesen, die Reform umzusetzen! Mit einem Handzeichen gebot der Kaiser den Räten,
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