C14-Crash
ungebrochenen Willen, der Geschichte Ordnung nach einfachen
und eleganten Prinzipien zu bringen.
7. Statistik muß sein – Lüge oder Unwahrheit?
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7. Statistik muß sein – Lüge oder Unwahrheit?
7.1 Fehler helfen beim Überleben
Nicht auszudenken wäre es, wenn sich C14-Daten ohne die allseits bekannte
statistische Unsicherheit bestimmen ließen. Dann lieferte ein C14-Labor Al-
terswerte ab, ohne daß noch ein »früher« oder ein »später« diskutiert werden
müßte, so wie es tatsächlich ja immer wieder geschieht.
Das C14-Labor wäre damit in derselben Lage wie beispielsweise ein Büro
für Grundstücksvermessungen. Hier gibt es keine Debatten über die Meßbar-
keit des Meters im Allgemeinen oder über die Qualität geodätischer Messun-
gen im Besonderen. Mit der Messung von C14-Daten verhält es sich dagegen
völlig anders. Diese werden regulär immer mit einem Fehler angegeben, der
dem Anwender signalisieren soll, daß der tatsächliche Wert innerhalb des an-
gegebenen Intervalls nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu finden
sein wird. Die Ungewißheit über den wahren Wert ist in der Praxis unter Be-
rücksichtigung aller gegebenen Unsicherheiten immer wieder so groß, daß In-
terpretationen unterschiedlichster Art folgen können.
Der mögliche Wert muß in seiner Bedeutung diskutiert werden, und es
steht bis zu einem gewissen Grad im Belieben des Betrachters, welche
Schlüsse er präsentieren möchte. Wenn allerdings C14-Daten fehlerfrei meß-
bar wären, dann würden die immanenten Widersprüche sofort zu Tage treten,
woraufhin sich die wissenschaftliche Welt schon längst von dieser Altersbe-
stimmungsmethode getrennt hätte. Zu häufig kommt es auch im statistischen
Sinne zu unwahrscheinlich weit auseinanderliegenden Altersangaben für Pro-
ben, die dem sonstigen Wissen nach gleichaltrig sind.
Wenn zwei Geometer die gegenüberliegenden Kantenlängen eines be-
kanntermaßen rechtwinklig angelegten Grundstücks vermessen haben und zu
Ergebnissen kommen, die unter Berücksichtigung des möglichen Fehlers
nicht übereinstimmen, dann werden beide – oder auch ein Dritter – erneut
und solange ins Feld geschickt, bis konsistente Daten vorliegen. Das kann so-
weit gehen, daß die Meßgeräte überprüft oder die Kompetenz der Ausführen-
den in Frage gestellt wird.
C14-Daten haftet dagegen von vorneherein ein Geruch prinzipieller Unsi-
cherheit an. Bei ihrer Interpretation gibt man sich deshalb offensichtlich er-
heblich toleranter. So werden Proben als zeitgleich ausgewiesen, deren C14-
Daten dafür bei regulärer Interpretation nur noch eine Wahrscheinlichkeit von
wenigen Prozent ergeben (Bild 3.2 ). Es scheint das Motto zu gelten, daß le-
diglich das Unmögliche nicht für wahr genommen wird. So wird zwar gerne
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C14-Crash
daran erinnert, daß C14-Daten Wahrscheinlichkeiten und nicht Gewißheiten
repräsentieren [Schiffer 1987, 308], doch das muß schließlich nicht heißen, daß
Unwahrscheinlichkeiten akzeptiert werden müssen, die an das Unmögliche
grenzen. Der Usus, C14-Daten nur dann zu verwerfen, wenn sie nahezu hun-
dertprozentig sicher korrupt sind, ist als Abusus anzusprechen, als Mißbrauch
des in der statistischen Methode vorhandenen Interpretationsspielraums.
Der Fehler oder besser die Unsicherheit, die sich in der Messung radioak-
tiver Zerfallsereignisse natürlicherweise offenbart (Bild 7.4 ), breitet einen
Schleier der Nachsichtigkeit aus, so daß inkonsistente C14-Daten von Proben,
für die unabhängig davon ein expliziter zeitlicher Bezug im archäologischen
Kontext erarbeitet werden konnte, Historikern dennoch angedient werden
können. Das dabei zur Anwendung kommende statistische »Verfahren« wird
in diesem Kapitel näher beleuchtet.
Der technische Fortschritt hat die Schwierigkeiten, die in den Anfangs-
gründen der Methode schier unüberwindlich schienen, schon längst gegen die
sonstigen Unsicherheiten der Methode relativiert. Man wußte anfangs um die
Probleme bei der Extrahierung des Kohlenstoffs und natürlich auch hinsicht-
lich der präzisen Messung des Signals, das gegenüber der Hintergrundstrah-
lung verschwindend klein ausfiel. Mit deren zunehmender Beherrschung tra-
ten aber andere Fehlerquellen in den Vordergrund. Hier ist beispielsweise die
Probenlagerung und -aufbereitung zu nennen. Der summarisch abzuleitende
Fehler kann in der Regel nicht sicher korrigiert werden. Während aber
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