C14-Crash
»Winkelhalbierende«), die dem Libbyschen Modell des
Quasigleichgewichts zwischen Produktion und Zerfall entspricht, als Vorbild
für die Konstruktion der Baumringsequenzen hergehalten haben muß, obwohl
tatsächlich eine ganz andere Kurve hätte folgen müssen. Mithin hat die
Dendrochronologie in einer entscheidenden Phase das methodische Hand-
werkszeug vollständig von der C14-Wissenschaft bezogen und konnte (oder
wollte auch) einen in dieser Folge gemachten eklatanten Fehler mit eigenen
Mitteln nicht entdecken bzw. nicht wieder rückgängig machen.
Diese Vermutung findet sich für alle Europäischen Eichenchronologien
von Bedeutung bestätigt. Grundsätzlich wurde das konstruktive Regime für
die Vordatierung einzelner Baumringsequenzen an die C14-Methode abgege-
ben. Dabei bediente man sich des Libbyschen C14-Modells, in dem lokale
Ungleichgewichte nicht vorkommen und somit für überregional gefundene
Baumringsequenzen eine relative Chronologie – die Abfolge von früher und
später – erstellt werden durfte. Die Hilfestellung durch C14 erfolgte dabei auf
drei Ebenen. Sie diente
! der Zuordnung einzelner Baumringsequenzen untereinander, ohne bereits
an einem Absolutdatum interessiert zu sein,
9. Der radiometrische Tunnel – Kalibrieren? So nicht!
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! der »tentativen Absolutdatierung« zusammengefaßter »schwimmender«
Master gegenüber kompletten Mastern von beliebigen Orten der Erde
durch radiometrischen Mustervergleich (»wiggle-matching«), um Lücken
zu lokalisieren und zu quantifizieren,
! dem Auffinden von Material, um besagte Lücken zu schließen.
Zu einem das Postglazial umfassenden Kalender kommt die Dendrochronolo-
gie durch jahrgenaue Synchronisierung unterschiedlich alter, jedoch mit zeit-
licher Überlappung gewachsener Bäume. Dieser Kalender enthält Jahr für
Jahr den mittleren charakteristischen Wuchswert für den entstandenen Baum-
ring. Dabei ist der Dendrochronologe unbedingt auf die klimatische Zusam-
mengehörigkeit der Wuchsorte der betrachteten Baumringsequenzen ange-
wiesen. Nur so ist die ähnliche Ausbildung der einzelnen Ringdicken als Re-
aktion auf ein einheitliches Mikroklima und damit die wichtigste Vorausset-
zung für ihre Synchronisierbarkeit gewährleistet.
De facto waren die mit dem Projekt »Postglaziale Baumringchronologie«
befaßten europäischen Dendrochronologen ganz schnell mit einem Stadium
konfrontiert, in dem sie dann für lange Zeit lediglich über »schwimmende«
Baumringsequenzen aus unterschiedlichen Wuchs- und damit unterschiedli-
chen Klimagebieten verfügten, die sie nicht ohne weiteres zu einer übergeord-
neten durchgehenden Sequenz zusammenfügen konnten. Daß mit dieser Si-
tuation ein permanenter Zwang zum Methodenwechsel verbunden war, moch-
ten die Dendrochronologen nicht gern zugeben und sprachen offiziell lieber
von »Fundproblemen«, die auf Dauer gelöst werden könnten. In der Regel
entstanden also nur lokale Synchronismen und man hoffte, daß nach Beibrin-
gung weiteren Materials wenigstens Brücken zwischen den regional unter-
schiedlichen Sequenzen geschlagen werden konnten.
Auch ohne das Lückenproblem gab es grundsätzlich zu wenig sichere im-
manente Anhaltspunkte, nach denen beurteilt werden konnte, welche schwim-
mende Sequenz die ältere und welche die jüngere war oder wie groß über-
haupt der Altersunterschied jeweils sein mochte. Man war damit immer wie-
der auf externe Hilfe angewiesen, um die Lage der schwimmenden Sequenzen
zueinander soweit eingrenzen zu können, daß die ganz normale »Maschine-
rie« der Dendrochronologie auf die zu prüfenden Synchronismen angesetzt
werden konnte. Das »Dilemma des Dendrochronologen« [Baillie 1990, 18] war
dabei allgegenwärtig, weil immer wieder entschieden werden mußte, ob ein
gefundenes Holz zu einem der bereits aufgebauten Master paßte, oder ob es
etwa als das erste Fundstück für eine der (noch) vorhandenen Lücken zu be-
trachten war. Je sicherer man sich allerdings durch eine mit externen Mitteln
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C14-Crash
9.15 Tentative Absolutdatierung schwimmender Baumringsequenz
Vergleich des C14-Trends innerhalb der Chronologie »Donau 3/10 - Main 3«
[zusammenfassend Becker/Frenzel 1977] mit Daten der Bristlecone-Pine-Chro-
nologie, die von H.E. Suess [1970a] u.a. auf dem 12. Nobel-Symposium von 1969
in Uppsala vorgestellt worden war.
Vergleiche hierzu auch Bild 2.13 , das die radikale Plazierung
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