Cabal - Clive Barker.doc
sie durch den Hindernisparcours verbrannter Möbelstücke.
Hätten die hellen Bodenkacheln das Licht von der Straße nicht reflektiert und zum Gitter der Dachbalken hochge-109
worfen, hätte sie wahrscheinlich nicht riskiert, weiter zu gehen. Aber sie konnte vor sich vage einen Türbogen sehen, durch den Sheryls Lachen geklungen hatte. Darauf ging sie zu. Es war völlig still geworden. Sie beobachteten jeden ihrer zögernden Schritte. Sie konnte ihre wachsa-men Blicke spüren.
»Kommt schon, Leute«, sagte sie. »Der Scherz ist vorbei. Ich habe Hunger.«
Keine Antwort. Sie hörte hinter sich, auf der Straße, die Samariter rufen. Rückzug war nicht ratsam. Sie ging weiter und trat durch den Bogen.
Ihr erster Gedanke war: Er hatte nur eine halbe Lüge erzählt; dies war ein Restaurant. Ihre Erkundung hatte sie in eine Küche geführt, in der das Feuer wahrscheinlich seinen Anfang genommen hatte. Auch dieser Raum war weiß gekachelt, die Oberflächen waren rußbeschlagen, aber immer noch hell genug, daß das gesamte Innere, das groß war, seltsam erleuchtet wurde. Sie stand unter der Tür und betrachtete das Zimmer. Der größte Herd stand in der Mitte, über ihm hingen immer noch reihenweise funkelnde Küchenutensilien, die ihren Sehbereich ein-schränkten. Die Witzbolde mußten sich auf der anderen Seite des Hindernisses verstecken; es war das einzige Versteck, das der Raum bot.
Trotz ihrer Angst spürte sie hier ein Echo unvergessener Versteckspiele. Das erste Spiel, weil es das einfachste ist. Wie sehr es ihr gefallen hatte, sich von ihrem Vater erschrecken, suchen und finden zu lassen. Wenn er nur jetzt auch hier versteckt wäre, dachte sie, und darauf warten würde, sie in den Arm zu nehmen. Aber er war schon vor langer Zeit an Kehlkopfkrebs gestorben.
»Sheryl?« sagte sie. »Ich gebe auf. Wo bist du?«
Noch während sie sprach, führten ihre Schritte sie zu einem der Mitspieler, und da hörte das Spiel auf.
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Sheryl versteckte sich nicht; es sei denn, der Tod wäre ein Versteck gewesen. Sie lehnte an dem Herd, die Dunkelheit um sie herum war zu feucht, um ein Schatten zu sein; ihr Kopf war nach hinten gesunken, das Gesicht aufgeschlitzt.
»Großer Gott.«
Hinter Lori ein Geräusch. Jemand kam, um nach ihr zu suchen. Zu spät, sich zu verstecken. Sie würde erwischt werden. Aber nicht von liebenden Armen, nicht von ihrem Vater, der das Monster spielte. Dies war das Monster selbst.
Sie drehte sich um, um das Gesicht zu sehen, bevor er sie umbrachte, aber es war eine Nähkästchenpuppe, die auf sie zukam: Reißverschluß als Mund, Knöpfe als Augen, alles auf weißes Leinen genäht und so eng um den Kopf des Monsters gebunden, daß Speichel einen dunklen Fleck um seinen Mund herum bildete. Das Gesicht bekam sie nicht zu sehen, wohl aber die Zähne. Diese hielt er über den Kopf, funkelnde Messer, die Klingen fein wie Grashalme, die herniederstießen, um ihr die Augen auszustechen. Sie warf sich aus ihrer Reichweite heraus, aber er war innerhalb weniger Augenblicke wieder hinter ihr her, der Mund hinter dem Reißverschluß rief ihren Namen.
»Bringen wir es hinter uns, Lori.«
Die Klingen kamen wieder auf sie zu, aber sie war schneller. Die Maske schien es nicht eilig zu haben; er näherte sich ihr mit gemessenen Schritten, und seine Selbstsicherheit war obszön.
»Sheryl hat es richtig gemacht«, sagte er. »Sie stand einfach da und ließ es geschehen.«
»Scher dich zum Teufel.«
»Vielleicht später.«
Er strich mit einer Klinge über die Reihe aufgehängter Töpfe, erzeugte Quietschen und Funken.
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»Später, wenn du kälter bist.«
Er lachte, der Reißverschluß klaffte.
»Darauf kann man sich freuen.«
Sie ließ ihn reden, während sie überlegte, welche Fluchtmöglichkeiten ihr offenstanden. Keine gute Nachrichten. Der Notausgang war von verkohlten Balken versperrt; ihr einziger Ausweg war der Torbogen, durch den sie hereingekommen war, und zwischen ihm und ihr stand die Maske und wetzte die Zähne.
Er kam wieder auf sie zu. Keine Spötteleien mehr; die Zeit zu reden war vorbei. Während er sich ihr näherte, dachte sie an Midian. Sie hatte seine Schrecken sicher nicht überlebt, um sich von einem einsamen Psycho zerstückeln zu lassen.
Zum Teufel mit ihm!
Während die Messer auf sie zuglitten, zog sie eine Pfanne vom Regal über dem Herd und riß sie hoch, um ihm ins Gesicht zu schlagen. Sie traf ins Zentrum. Ihre Kraft schockierte sie. Die Maske strauchelte und ließ
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