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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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die größeren sind schwer im Sand zu bewegen. Schwere, mit Stricken versehene Bohlen werden unter den Kiel gelegt und müssen, während das Drahtseil der Motorwinde zum Singen gestrafft ist, hinter dem Boot weg- und vor das Boot hingezogen werden, bis es den gewünschten Stellplatz erreicht. Ich schäme mich, während ich zuschaue, ein wenig dafür, wie enttäuscht ich, der Tourist, war, als sich herausstellte, dass die Boote hier nicht mehr von Hand, sondern mit Motorkraft ans Ufer gezogen werden.
    Aber dann sehe ich wieder, wie die Fischer das schwarze Öl in den Sand kippen, wie sie ihre leeren Plastikflaschen fallen lassen, wo sie gerade stehen und gehen. Ich rieche den Dieselgeruch der Bootsmotoren, den der Wind über Hunderte von Metern heranweht. Ich sehe bei meinen Strandspaziergängen die Mengen an Müll, die das Meer täglich auskotzt, und es kommt mir ganz richtig, sogar gerecht vor, dass dieses geschundene, vergiftete, ausgebeutete Meer kaum noch Fisch hergibt und irgendwann vielleicht überhaupt nichts mehr hergeben wird.
    Noch immer sehe ich täglich dem Sonnenuntergang zu (er verschiebt sich, habe ich herausgefunden, täglich um etwa eine Minute).
    Noch immer zünde ich abends Kerzen an, esse Manchego und trinke Rotwein dazu.
    Den Miller habe ich ausgelesen. Stattdessen lese ich jetzt El País , allerdings immer dieselbe Ausgabe. Meine Großmutter hat mir vor vielen Jahren einmal erzählt, sie habe im mexikanischen Exil Spanisch gelernt, indem sie täglich vor dem Einschlafen wieder und wieder dieselbe Zeitung las, so lange, behauptete sie, bis sie den Text verstand. Ich versuche es mit dieser Methode. Immer wieder lese ich die Artikel über die Einführung des Europäischen Binnenmarktes, des mercado interior – und verstehe rein gar nichts. Oder sollte es tatsächlich eine EU-Norm für die Mindestgröße von Zwiebeln geben? Ich versuche mir vorzustellen, wie irgendwo in einem fernen Bürogebäude eine Kommission ernster Männer über den Durchmesser von Zwiebeln und Erdbeeren verhandelt … eine befremdliche Vision.
    Was ich halbwegs verstehe: dass man das Verfahren gegen Erich Honecker eingestellt hat.
    Was ich auch verstehe (auch wenn ich mich jetzt, da ich mich daran erinnere, frage, ob es sich nicht um ein Missverständnis handelt – allerdings erinnere ich mich zugleich, dass ich mich das auch damals schon gefragt habe, und dass ich, um sicherzugehen, mehrmals in meinem kleinen gelben Wörterbuch nachschlug): dass Fischer inzwischen zu den Berufsgruppen mit der höchsten Lungenkrebsrate gehören.
    An einen Traum erinnere ich mich, den ich in diesen Tagen träumte, und weil ich mich an ihn erinnere, erzähle ich ihn. Er spielte in der ehemaligen Wohnung meiner Eltern, einer riesenhaften Fünf-Zimmer-Wohnung, jedoch ausgerechnet im kleinsten Raum, nämlich in einer nach Fotofixiersalz und Schuhcreme riechenden Kammer hinter der Küche. In diese Kammer, in der kaum Platz zum Sitzen war, hatte ich meinen Rundfunkredakteur zum Essen geladen, und ich erinnere mich, dass ich in der Küche stand und mit Töpfen hantierte, während ich dem Rundfunkredakteur, der in der Kammer saß, vom Tod meiner Mutter erzählte – als wollte ich ihm die Geschichte verkaufen . Ich erinnere mich, dass die Erinnerung an meine Mutter mich angriff, stärker als jemals im Wachzustand; ich erinnere mich an den Schmerz in der Kehle, während ich sprach; daran, wie ich versuchte, meine Trauer zu überspielen, während der etwas zerstreute und augenscheinlich missgelaunte Rundfunkredakteur damit beschäftigt war, seine Knie um das ausgediente Nachttischchen zu platzieren, das in der Kammer zur Aufbewahrung von Schuhputzzeug stand. Ich erwachte – nachts – von dem Schmerz in meiner Kehle.
    Aber dann ist es wieder Morgen. Ich prüfe den Himmel. Der Himmel ist blau. Ich gehe zum Bäcker, und es kommt mir, während ich vergnügt nach der Wetterfahne Ausschau halte, selbst verrückt vor, dass ich so guter Stimmung bin, jeden Tag aufs Neue, obwohl ich noch immer keine Zeile geschrieben habe.
    Ich sitze auf meiner Bank. Die Hunde kommen, zuerst einer, es ist immer derselbe, und zwar der, der mich am wenigsten mag (morgens, wenn er allein ist, wagt er sich nicht an meiner Bank vorbei, sondern schleicht sich hinter der kleinen Balustrade zum Strand). Dann erscheinen die Männer im Schlafanzug mit ihrem Palaver. Und dann – die merkwürdigste Novität dieser Tage – die Frau mit dem Gipsbein.
    Sie kommt vom anderen Ende der

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