Cabo De Gata
nicht über die Frauen, sondern über deren Abwesenheit. In Erinnerung geblieben ist mir, wie er stockte, stehen blieb, wie seine Hände die Luft umgriffen, als er mir zu erklären versuchte, was es bedeute, monatelang keine weibliche Stimme zu hören, keine weibliche Hand zu berühren, nichts anderes zu sehen als das gelegentliche Aufglänzen eines Augenpaars hinter der Burka. In Erinnerung geblieben sind mir die roten Flecken auf seinen Wangen, als er erklärte, dass ihn die Nähe einer Frau – und zwar, wie er sagte, ganz unabhängig von ihrem Aussehen und von ihrem Alter – noch immer verwirre.
Von diesem Augenblick an erschien er mir als ein Verzweifelter. Alles an ihm schien Ausdruck dieser Verzweiflung zu sein: seine weichen Gesten, sein Schweigen, wenn er schwieg, sein amerikanischer Akzent, wenn er redete, sein Auflachen, als er später beim Billard versehentlich die schwarze Kugel versenkte. Und als ich ihn, nachdem er drei- oder viermal verloren hatte, gewinnen ließ, seufzte er auf wie nach einer Niederlage und nickte, als müsste er sich den Schmerz verbeißen, mit über die Zähne geschlagenen Lippen.
Dann kauften wir dem schmächtigen Wirt zwei überteuerte Flaschen Rotwein ab, ließen uns Pappbecher geben und zogen auf die Strandpromenade. Der Wind hatte zugenommen, es ging ein regelrechter Sturm, überraschend warm, von der afrikanischen Seite her. Der Amerikaner war begeistert. Keinesfalls wollte er sich auf die Bank vor dem Restaurant setzen, er bestand darauf, sich am nächtlichen Strand niederzulassen – und ich war bereits betrunken genug, dem zuzustimmen.
Also setzten wir uns in den Sand, starrten in die Dunkelheit, wo das Meer brüllte wie ein riesiges, angekettetes Tier, und ich erinnere mich, dass ich plötzlich an jene mythischen Ungeheuer denken musste, die vom griechischen Gottvater Uranus in die Hölle verbannt worden waren.
Der Amerikaner fragte mich, was ich eigentlich hier in Cabo de Gata täte. Ich erinnere mich, dass ich sagte, ich wisse es nicht genau. Und ich erinnere mich an seine Enttäuschung: Als er mich heute früh auf der Bank sitzen sah, sagte er, habe er geglaubt, ich sei Schriftsteller.
Später, als wir den größten Teil unseres Weinvorrats ausgetrunken hatten, gestand er, dass er selbst den Wunsch habe zu schreiben. Dass er eigentlich nur in diesem verdammten (goddamned) Saudi-Arabien sei, um den Roman zu finanzieren, den er schreiben wolle.
Worüber?, fragte ich.
Schwierig, sagte der Amerikaner.
Ich fragte, wovon der Roman handeln solle (ich glaube, ich fragte nach der story ), und plötzlich waren wir mitten in einem Gespräch über Literatur, insbesondere über europäische und amerikanische Literatur, wobei sich herausstellte, dass der Amerikaner die europäische Literatur nicht nur schätzte, sondern auch weitaus besser kannte als ich.
Ich erinnere mich, dass er über Flaubert sprach, den er für den ersten aller modernen Erzähler hielt; er liebte die großen Russen (was mich noch am wenigsten verwunderte), hatte den Ulysses vollständig gelesen (im Gegensatz zu mir); er schätzte Arno Schmidt und sogar Uwe Johnson, während er die amerikanische Literatur im Großen und Ganzen der Trivialität verdächtigte.
Meine Verehrung für William Faulkner akzeptierte er gerade noch. Updike fand er, soweit ich mich erinnere, dünnflüssig. Paul Auster, den ich zur Verteidigung der zeitgenössischen amerikanischen Literatur ins Feld führte, kannte er überhaupt nicht. Und gegen Nabokov hatte er zwar nichts zu sagen, weigerte sich aber, ihn zu den amerikanischen Schriftstellern zu zählen.
Die Amerikaner glauben, brüllte er gegen den Sturm, dass es in der Literatur um die Handlung geht, um den plot ! Ich erinnere mich an sein böses Lachen. Ich erinnere mich, wie er, das Eingießen unterbrechend, die Arme hochriss, die Rotweinflasche in der rechten, den Pappbecher in der linken Hand. Und ich erinnere mich, dass seine rötlichen Haare, die über den Schatten der Balustrade hinweg gerade noch Licht abbekamen, auf seinem Kopf loderten.
Dann trank er seinen Becher aus, stand auf, wankte zum Meer und begann auf einmal das Spiel der hysterischen Tanten zu spielen. Ich erinnere mich, wie er mit seinen großen Füßen der abfließenden Welle nachtapste, so weit wie möglich in den freiwerdenden Meeresgrund hinein. Wie er versuchte, der wieder herannahenden Welle zu entfliehen. Zweimal gelang es halbwegs. Beim dritten Mal erwischte es ihn. Ich sehe ihn aus dem Meer
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