Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
besaßen doch tatsächlich die Stirn, fünfzig Minuten eine ganze Stunde zu nennen – und konnten trotzdem nachts noch seelenruhig schlafen! Bei BOFFO waren nicht nur die Fahnder verrückt …
Man sehe sich nur die Chefin an! Unsere furchtlose Anführerin, die uns umsorgte, Schaden von uns fernhielt und darauf achtete, dass unsere Gehaltsschecks pünktlich kamen und unsere Therapiesitzungen nicht aus dem Ruder liefen. Aber sie verbrachte furchtbar viel Zeit damit, Dinge winzig klein zu hacken. Und niemand wusste, warum sie das tat. Nicht einmal Shiro! (Nahm ich an.) Michaela schien nur dann kühl und gut angepasst zu sein, wenn man sie mit Leuten wie mir – oder George – oder Opus verglich.
»Sie kommen nicht voran«, fuhr meine (möglicherweise) verrückte Chefin fort. »Wenn überhaupt, so scheinen Sie eher Rückschritte zu verzeichnen. Das ist inakzeptabel.« Schnibbel. Hack. Tränen strömten jetzt über Michaelas Wangen, aber damit hielt sie mich nicht zum Narren: Michaela würde selbst dann nicht weinen, wenn ihr ein Bowlingball auf die Füße fiele. Nein, die Tränen hatten mit der Bermudazwiebel zu tun, die sie so eifrig zerhackte. »Was also sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«
»Wir im Sinne von Sie und ich ? Oder meinen Sie damit mich, Adrienne und Shiro?« Was für eine Überraschung: Michaela schwieg. »Ich finde, Sie sind ziemlich gemein zu meinen Schwestern. Ihnen würde es auch nicht gefallen, wenn Sie wüssten, dass die Jagd auf Sie eröffnet ist.«
»Das ist doch täglich der Fall … immerhin arbeite ich für die Regierung. Und auch ich jage Menschen, das versteht sich ja wohl von selbst.«
»Hier im Büro würd ich das aber nicht an die große Glocke hängen, Chefin.«
»Cadence, ich glaube, Sie alle drei müssen sich der Tatsache stellen, dass die Integrierung eines Tages geschehen wird , egal wie viele Straßensperren Sie oder die anderen dagegen errichten.«
»Ich kann nicht … «
13
»Sie können nicht erwarten, dass sich Cadence dieser Sache stellt. Das tut sie nämlich nie.« Ich betrachtete die Berge von gehacktem Gemüse mit schlecht verhohlenem Missfallen. Diese Frau war ein Paradebeispiel für Lebensmittelvergeudung. »Sie erwarten von Cadence, dass sie sich den Tatsachen stellt? Was haben Sie sich nur dabei gedacht?«
»Ah, Shiro, pünktlich wie immer.« Michaela hatte die Brotscheiben zu Türmen gestapelt und stopfte sie nun in Plastiktüten, die in die Speisekammer wanderten. Ihre krankhafte Störung war selbst für eine Behörde wie BOFFO ungewöhnlich, und die Ironie, dass ausgerechnet sie Cadence darüber belehrte, dass man sich den Tatsachen stellen müsse, war mir durchaus bewusst.
Ich respektierte Michaela in einem Maße wie nur wenige Menschen. Ich kannte auch ihre Geschichte – niemals hätte ich für jemanden gearbeitet, der Geheimnisse vor mir hatte. Wie wir alle war Michaela für BOFFO ein Gewinn, und zwar nicht trotz, sondern aufgrund ihrer Krankheit. Und ich behielt das, was ich wusste, für mich, denn es ging schließlich niemanden etwas an.
»Sie sind doch kein Idiot, Shiro.«
»Danke schön, das habe ich auch schon gewusst.«
»Keine von Ihnen ist dumm. Deshalb muss Ihnen doch klar sein, dass die Reintegrierung eines Tages zwingend erfolgen wird.«
»Natürlich ist mir das klar. Aber zu erwarten, dass sich Cadence unerfreulichen Tatsachen stellt, ist ein klarer Beweis dafür, dass weder Sie noch Dr. Nessman überhaupt wissen, womit Sie es hier zu tun haben.«
»Das mag ja sein, aber unsere Grenzen sind unsere Sache. Nicht Ihre, Shiro. Und jetzt fort mit Ihnen.«
»Fort mit Ihnen?« Ich hatte mich wohl verhört. Sie würde doch nicht wagen … Hatte sie gerade »Fort mit Ihnen« zu mir gesagt? War ich also zu einem kleinen Kind degradiert, das sie wegschicken konnte, wie es ihr passte?
»Ich gebe Ihnen dreien für den Rest des Tages frei.«
»Wie unglaublich generös«, gab ich zurück und duckte mich, denn Gurkenscheiben lösten sich von ihr und segelten über meine Schulter. »Vergessen Sie nicht … «
14
»Was?«
Michaela schaute mich erwartungsvoll an.
»Wie bitte?«, fragte ich.
» Was soll ich denn nicht vergessen?«
»Was?«
Verärgert fuchtelte sie mit dem Messer herum. Ich war total froh, dass ich nicht die Fortpflanzungsorgane eines Mannes besaß. Die Kollegen wurden immer furchtbar nervös, wenn Michaela beschloss, Salate zu schneiden oder Steaks zu Hackfleisch zu verarbeiten. »Egal. Gehen Sie einfach nach Hause, Cadence. Ich
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