Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
ich damit sagen will: Ich musste lediglich sechs Tage in Michaelas Büro ausharren. Das war also keine große Sache.
Etwas gefiel mir an diesem Wartezimmer ganz besonders: Es war kühl, dunkel und ruhig. Der Raum maß ungefähr viereinhalb mal sechs Meter und war mit Polstersesseln, besagter Couch, Pams Schreibtisch und einem kleinen Kühlschrank in der hinteren Ecke möbliert. (Der Kühlschrank war stets mit einem Vorhängeschloss zugesperrt … Pam bewachte ihr Ginger Ale mit Argusaugen.) Ein dunkelblauer Teppichboden und frühlingsblau gestrichene Wände vermittelten eine anheimelnde Atmosphäre. Im Schrank hingen jede Menge Kleiderbügel und auf dem Boden lagen Pams Schlafsack, ihr Kissen und ein ordentlich gefalteter Sushi -Pyjama.
Oh – Verzeihung. Hab ich ganz vergessen zu erwähnen. Pam litt unter Agoraphobie. Sie musste wohl eine ziemlich lausige Kindheit gehabt haben, ich kannte jedoch keine Details und wollte sie auch nicht kennen. Shiro die Schnüfflerin wusste natürlich Bescheid. Die einzigen Geheimnisse, die sie achtete, waren ihre eigenen.
Also, jedenfalls verließ Pam das Büro niemals. Außerdem tippte sie 140 Wörter in der Minute, brauchte nie etwas zwei Mal gesagt zu bekommen, sorgte für das reibungslose Funktionieren von Michaelas minutiösem Tagesplan, wusste immer, wer frech gewesen war – kurz, sie war die perfekte Palastwache. Dass sie noch nicht einmal volljährig war und eigentlich nicht arbeiten durfte, fiel demgegenüber gar nicht ins Gewicht.
»Alles in Ordnung?«, fragte Pam, während sie emsig auf ihrer Tastatur herumhackte. »Hast heute viel zu tun gehabt.«
»Ach, erinnere mich bloß nicht daran.« Ich blickte an mir herunter. Die gleichen Klamotten wie am Morgen: gut. Ein wenig Blut an den Fingern: hmmmm. Fast drei Stunden fehlender Erinnerung: heikel.
Pam redete nie um den heißen Brei herum. Ohne von ihrer Tastatur aufzusehen, sagte sie: »Am Tatort hast du auf die eine Schwester umgeschaltet, und während der Sitzung bei Dr. Nessman auf die andere.«
»Ich hab was gemacht?« Erschrocken sprang ich auf. Na ja, es war eher ein Torkeln – das Mittel, das sie mir
( ihr )
anscheinend gespritzt hatten, wirkte sehr schnell, aber zum Glück verflüchtigte sich die Wirkung auch ebenso rasch wieder. Das wacklige Gefühl würde aber noch eine Stunde anhalten. »Welche Schwester ist wo aufgetaucht?«
»Am Tatort war es Shiro. Wer dann gekommen ist, kannst du dir ja ausrechnen. Da wir gerade vom Rechnen reden – du hast den Stundenzettel von letzter Woche noch nicht eingereicht.«
»O Gott. O – Gott !«
»Ist nicht so schlimm. Morgen Mittag reicht.«
»Das meine ich doch nicht! Wie geht es Dr. Nessman? Ist er noch im Haus? Er ist doch noch im Haus, oder?« Ich spürte, wie mir das Blut ins Gesicht stieg. Adrienne hat es immer geschafft, mich in Verlegenheit zu stürzen. Mit dieser Schnepfe kann man sich nirgendwo sehen lassen. »Ist er verletzt? Liegt er in der Notaufnahme?«
»Ich bin sicher, dass ich es dir nicht erst sagen muss«, meinte Pam trocken – und sagte es dann doch, »aber es ist beileibe nicht das erste Mal, dass Nessman aus heiterem Himmel von einem Patienten geschlagen wird. Es geht ihm gut. Im Augenblick macht er sich wahrscheinlich schon wieder Notizen.«
»Oh, ich muss mich bei ihm entschuldigen! Der arme Mann! Was genau ist denn passiert?« Pam öffnete den Mund, aber ich kam ihr zuvor. »Sag nichts! Ich muss es gar nicht wissen. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie … ich werde sofort zu ihm gehen. Genau! Sofort!«
»Das wirst du eben nicht.« Blinzelnd las Pam einen Computerausdruck. Für sie war es ein ganz normaler Tag im Büro. Und für mich, ehrlich gesagt, auch. »Michaela will dich sprechen.«
Inwendiges Stöhnen. Dem ich auch verbal Ausdruck gab. Ein vertrauliches Einzelgespräch mit der Chefin. Der perfekte Ausklang eines absoluten verdorbenen Tages.
»Ist sie in ihrem Büro oder … ?«
»In der Küche«, antwortete Pam, die ihre Aufmerksamkeit schon wieder etwas anderem zugewandt hatte.
In der Küche! Offenbar hatte Michaela einen dieser Tage.
Das Gefühl kannte ich nur zu gut.
12
Ich klopfte an die Tür unserer Dienststellenküche und trat ein, während ich bereits ihr zerstreutes »Ja, ja« hörte. Michaela befand sich genau dort, wo ich sie mir vorgestellt hatte: vor der Arbeitsplatte, auf der sie Sellerie und Gurken klein hackte.
Wie gewöhnlich bot Michaela unterschiedlichen Beobachtern ein unterschiedliches Bild. Und
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