Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
möglichen Fragen stellen, um den Mörder zu fangen.«
Wieder lächelte mich Tracy an, als teilten wir ein großes, tolles Geheimnis miteinander. »Ich zähle Zahnstocher. Selbst wenn es eine neue Schachtel ist, auf der steht , wie viele drin sind, und auch wenn ich genau weiß , dass ich vierzehn gebraucht hab und dass ich sie gestern erst gezählt habe, muss ich sie doch wieder zählen. Und wieder. Servietten zähle ich übrigens auch.« Sie überlegte kurz. »Und Büroklammern. Ach ja, und Allzweckklammern natürlich. Und Gabeln. Und … «
Ich schnitt ihr mit einer ungeduldigen Gebärde das Wort ab. Ja, ja, das klang alles ziemlich typisch. Obwohl man die Krankheit nahe an Autismus ansiedelt, ziehen sich Asperger-Patienten nicht komplett aus dem Leben zurück. Und sie verfügen meistens über eine hohe Intelligenz. Aber auf einer Party, einer Hochzeit und in einem Lokal würden sie sehr unbeholfen wirken. In Büchern finden sie mehr Freunde als in der Wirklichkeit.
Hmm. Vielleicht hatte ja ich Asperger.
Und wenn schon. Davon ein andermal mehr.
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»Asperger!«, rief ich und wollte schon aufstehen … da merkte ich aber, dass ich bereits stand. Ich hasse es, wenn sie einfach so mit meinem Körper herumspaziert. Sie würden nicht glauben , an welchen unglaublichen Orten ich mich schon wiedergefunden habe.
Aber fragen Sie nicht. Denn ich werde es nie, niemals verraten.
Tracy Carr blinzelte mich mit weit aufgerissenen, tränenden Augen an. Sachte jetzt, Cadence. Erschreck sie nicht, sonst fällt sie am Ende noch ins Koma oder bekommt so was wie die Kopfgrippe . »Ja, das hatten wir doch gerade festgestellt.«
»Stimmt ja. Stimmt.« Ich hatte doch gewusst, dass Shiro es erkennen würde! Und Dreierpack, der irgendwo da draußen lauerte, wartete nicht, bis mein armes, überfüttertes Hirn diese Dinge von allein herausfand. Dennoch: dass ich nicht von selber darauf gekommen war, nervte mich kolossal. »Ich wollte bloß, ähm, Ihr Erinnerungsvermögen testen. Also, wie steht’s: bereit zum Abflug?«
Das war sie. Ich streckte ihr die Hand hin. Tracy machte sich so schwer, dass sie mich von den Beinen riss. Ich stolperte und hätte dabei fast den Tropf umgeworfen. Cadence Jones, meine Damen und Herren, bei einem ihrer glanzvollen Abgänge! Vorsicht vor herumfliegenden Bettpfannen.
Der entlassende Arzt, eine gestresst wirkende Frau Anfang dreißig mit der schrägsten Augenbrauenfarbe, die ich je gesehen hatte (blau!), schob Tracy jede Menge Papiere zum Unterzeichnen hin, schickte sie noch einmal aufs Klo (wieso sind alle Ärzte nur so besessen von Ausscheidungsfunktionen?) und bestand darauf, sie im Rollstuhl zur Pforte zu schieben, wo ich geparkt hatte. Nun noch ein paar Schritte – und wir saßen sicher in meinem Mitsubishi Eclipse.
Nun ziehen Sie mal keine voreiligen Schlüsse. Ich hatte den Parkplatz keinem Behinderten weggenommen. Als Bundesagent besitze ich eben gewisse Privilegien. Wenn ein Blinder vorführe, würde ich ihm natürlich den Parkplatz überlassen. Ich bin doch kein Monster , Mensch!
Na ja, jedenfalls hatte ich Tracy aus dem Krankenhaus geholt, und auf uns, vielmehr auf mich, wartete jede Menge Arbeit. Also vorwärts!
Ich atmete tief durch und seufzte. Es war einer dieser wunderbaren Herbsttage in Minnesota, wenn der Wind sanft bläst und die Bäume turmhohe rote und gelbe Riesen sind. Wenn der Himmel mit kleinen Wölkchen übersät ist, die wie Popcorn aussehen, und die Sonne einem den Rücken wärmt. Ein Tag, an dem ich mich auf die Spur eines Wiederholungstäters heftete, und an dem Starbucks Kaffee mit Kürbisgeschmack servierte.
Ach! Herbst. Ich liebte den Herbst. Er war so
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»Ich hasse den Herbst.«
Tracy Carr warf mir einen Seitenblick zu, während sie nach einer Zigarette kramte. Sie ließ ihre Tasche auf den Fußweg fallen und machte ganz den Eindruck, als würde sie jeden Moment in Tränen ausbrechen. Die bloße Vorstellung bewirkte schon, dass ich mit den Zähnen knirschte.
Ich hob ihre Handtasche auf und schaute zu, wie sie ein Feuerzeug herausangelte. Wütend betrachtete ich diesen Wahnsinn. »Es muss doch irgend so eine Krebspille geben … warum nehmen Sie nicht gleich die, dann haben Sie’s hinter sich.«
»Was? Ich soll … was?«
»Es gibt viel, viel schnellere Methoden – wirksamere Methoden und auch billigere Methoden – , um Selbstmord zu begehen.« Heuchlerisch? Nein. Ich rauche vielleicht eine Packung im Jahr . Wenige Raucher verfügen über so viel
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