Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
mittleren Managements, die auf eine neue Stelle warteten. Oder für Handlungsreisende. Schließlich sind die Twin Citys ein Drehkreuz für den Flugverkehr, und diese Straße konnte man getrost als Flugbegleiter-Gasse bezeichnen. Zumindest musste man noch nicht stundenweise bezahlen.
Über die Tapete verlor ich lieber kein Wort. Später werden Sie mir dafür dankbar sein. Glauben Sie mir.
»Danke, dass Sie mich nach Hause gebracht haben. Ich komme morgen früh in Ihre Dienststelle, um mehr Fragebögen auszufüllen.«
»Das wäre klasse.« Ich deutete auf das einzige Foto im Zimmer, eine zehn mal fünfzehn Zentimeter große Aufnahme von drei Halbwüchsigen vor einem großen weißen Haus, das dringend einen neuen Anstrich, Dachschindeln und eine Fliegengittertür benötigte. »Ist das Ihre Familie, in der Zeit, als Sie alle noch klein waren?« Irgendetwas an dem Haus gefiel mir nicht. Es stand nicht einfach nur da, sondern wirkte, als neige es sich drohend über die Kinder. Und die drei jungen Gesichter waren allesamt blass und spitz, als litten sie unter Vitaminmangel.
Tracy nickte.
»Na ja, es sieht wirklich … « Fieberhaft überlegte ich, was ich Nettes über das Haus sagen könnte. In Wirklichkeit fühlte ich mich so weit von Tracy entfernt wie ihr Bruder oder ihre Schwester in Arizona oder Nevada oder sonst wo im Südwesten. Vielleicht fühlten sich die Geschwister ohnehin weit von Tracy entfernt, da spielte der tatsächliche Wohnort gar keine Rolle. Vielleicht rückten sie bereits auf diesem Foto von ihrer seltsamen Schwester mit der komischen Krankheit ab. Wahrscheinlich machte es sie in ihrer Clique beliebter. Kinder können ja so grausam sein.
Und was um alles in der Welt konnte ausgerechnet ich jetzt noch daran ändern? Ich hatte Tracys traumatisches Erlebnis mit ihr besprochen, hatte ihre Entlassung aus dem Krankenhaus überwacht und das eine oder andere Thema berührt. Außerdem hatte ich Tracy angeboten, bei McDonald’s Fischfrikadellen zu besorgen. Sie aber hatte abgelehnt. Also konnte ich mich jetzt wieder meiner Arbeit widmen. Und das wäre auch keinen Augenblick zu früh. Im Büro warteten vermutlich ganze Wagenladungen von Akten auf meine Bearbeitung.
Endlich ein überlebendes Opfer eines Anschlags, hurra, gelobt sei Jesus Christus! Ich wusste, wir hatten in unserer Ermittlung einen großen Schritt nach vorn getan. Sicherlich bedeutete er auch mehr Arbeit. Aber das war völlig in Ordnung.
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Natürlich wartete jede Menge Arbeit auf mich. Sie türmte sich bedrohlich auf meinem Mauspad und begrub meine Schreibtischunterlage mit der kleinen Meerjungfrau unter sich. Zwar eine ganze Menge Material, aber herzlich wenig Auswertung. Doch dieses Stadium würde noch kommen, wie stets – ich hoffte nur, dass es dann nicht schon zu spät war. Sie wissen ja, was man über späte Einsicht und uneingeschränktes Sehvermögen sagt und den Schritt zur rechten Zeit und den frühen Vogel und so weiter.
Und das Verrückteste war, dass wir den Namen des Mörders höchstwahrscheinlich bereits hatten! Irgendwo in diesem Wust von Polizeiberichten, Bundesformularen, schriftlichen Zeugenaussagen, Laborberichten, Strafregisterprüfungen, CODIS **** , unserem DNA-Datenbank-Programm (ha! bis jetzt hatten wir wohl kaum nennenswerte biologische Spuren gefunden!), in den Ausdrucken aus dem FOIPA ***** -Gesetz (oder dem, wie George es nannte: Hippie-Gesetz 101 ; er war ein ganz entschiedener, ja geradezu hasserfüllter Gegner des Akteneinsichtsrechts), auf den DVDs von den Tatorten oder in den weiteren Akten mit Tausenden von Einzelheiten … irgendwo in diesem Müllhaufen versteckte sich das eine winzige Bindeglied, das alle Opfer dieses Dreierpack miteinander verknüpfte. Ein einziges und dermaßen offensichtliches Glied, dass es uns nach Abschluss der Ermittlungen förmlich in die Augen springen würde.
Aber eben erst nach Abschluss der Ermittlungen.
Dieser Gedanke machte mich schier verrückt. Und die Ermittlungen würden auf eine haarkleine Puzzlearbeit hinauslaufen – ähnlich anstrengend wie das Kreuzworträtsel der Bravo , wenn man lange genug auf einer einsamen Insel gewesen ist, um eine ganze Staffel DSDS zu verpassen … aber das war trotzdem noch kein Grund, den mühsamen Weg abzukürzen. Und ich konnte nicht mehr mit gutem Gewissen auf die Straße gehen, bevor ich es nicht wenigstens versucht hatte.
Solche Ermittlungen sind wie … hmm … wie kann man das ausdrücken? Sie sind so, als ob man sich dazu
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