Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt

machen.«
    »Das stimmt. Und als Ihre Mutter näher kommt … «
    »Komm nicht näher, Mama!«
    »Ganz ruhig, wir betrachten doch nur einen Film. Ihre Mutter kommt näher und Ihr Vater sitzt auf seinem kleinen Traktorrasenmäher. Und jetzt fährt er. Aber nicht auf Ihre Mutter zu, sondern auf … «
    »Die Gans.«
    »Genau. Und Sie hören, was er sagt. Er sagt … «
    »Pass gut auf.«
    »Ja. Und die Gans schafft es nicht mehr aufzufliegen. Und so … «
    »Er überfährt sie! Sie kann nicht wegfliegen und er hat sie über fahrt ! Und ich … «
    »Sie sind nicht dort, Cadence. Sie sind eine erwachsene Frau, nicht das kleine Mädchen. Sie schauen nur zu, was die Dreijährige tut.«
    »… schreie. Ich schreie und Mama schreit, oh sie ist so wütend .«
    »Ja. Sie hat mit ansehen müssen, wie Ihr Vater einer Dreijährigen mit Absicht Angst gemacht hat. Sie nimmt seit einem Monat keine Medikamente mehr. Sie ist wütend, weil sie die Angst auf dem Gesicht ihres Kindes erkennen muss. Sie … «
    »Der Kuchen. Rosa. Er ist rosa.«
    »Ja. Sie wirft den Kuchen nach ihm. Er versucht auszuweichen und dabei rutscht eine Hand vom Lenkrad. Er verliert das Gleichgewicht … «
    »Mama hat ihn geschlagen.«
    »Das stimmt. Das Überraschungsmoment war auf ihrer Seite und sie konnte ihn vom Rasenmäher werfen. Und dann hat sie, um Sie zu schützen und sich selber zu rächen, ihn … «
    »Über fahrt . Wie er die Gans auch über fahrt hat. Hör auf zu schreien! Niemand kann denken , wenn du so schreist!«
    »Sie schreien gar nicht, Cadence. Sie schauen zu. Sie sehen, wie Ihr Vater verletzt wird.«
    »Bloß sein Arm, das erste Mal.«
    »Ist er wütend geworden?«
    »O ja. Und dann fangen er und Mama richtig an zu kämpfen. Er kommt mit einem Arm hoch und greift nach ihrem Hals. Sie stößt ihn zurück. Er schaut zu mir hin und kommt auf mich zu. Er gibt mir die Schuld. Dem Kuchen. Meiner Mutter. Er wird’s ihr schon zeigen, indem er’s mir zeigt.«
    »Er sucht einen Gegner, dem er überlegen ist. Gegen Ihre Mutter kommt er nicht an.«
    »Keiner kommt gegen Mama an. Besonders nicht, wenn sie auf einem Rasenmäher sitzt. Zuerst schlägt sie ihn mit einem Ast nieder. Er liegt ganz still, immer noch still, als sie sich wieder auf den Traktor setzt … und dann … hat sie … ihn … «
    »Sie hat es beendet. Und die Dreijährige hat alles mit angesehen. Das Geburtstagskind hat alles mit angesehen, den Kampf, die berechnende Grausamkeit des Vaters, den Schutz durch die Mutter, so gut sie eben ihr Kind beschützen konnte. Aber es ist zu viel, Cadence. Es ist zu viel für das Geburtstagskind.«
    »Ich weiß … ich weiß nicht, wohin ich gehe.«
    »Das stimmt, Cadence. In dieser Minute stoppt der Film, und der Nachdreh setzt erst in sieben Monaten ein. Weil Adrienne zur Welt kommt. Adrienne tut, was das Geburtstagskind nicht konnte: Sie schreit und brüllt und sie verletzt jeden, der ihr zu nahe kommt. Und in diesen Monaten wird auch … «
    »Shiro geboren.«
    »Ja. Adriennes Aufgabe ist es, dem Geburtstagskind ein Ventil für seine Wut zu verschaffen, und Shiros Aufgabe ist es, sich zu erinnern. Und zu kämpfen. Um das Geburtstagskind zu beschützen. Dieser Zeitpunkt, der Tag nach Ihrem dritten Geburtstag, war der letzte Moment, in dem Sie eine vollständige Persönlichkeit gewesen sind.«
    »Ich hab ihn ja gewarnt! Ich hab ihm gesagt, er soll auf die Gans aufpassen und er hat es nicht getan ! Und dann hat Mama ihn über fahrt und … und … «
    »Und als das Geburtstagskind im nächsten Frühling zurückkehrte, war auch seine Mutter tot.«
    »Sie wollte fortfliegen. Wie die Gänse.«
    »Ja. Für ihre Tat stand ihr eine lebenslängliche Gefängnisstrafe bevor. Das Schlimmste war jedoch, dass sie ihre Tochter niemals wiedersehen würde. Sie schaffte es, auf ein Dach zu steigen, ohne dass jemand sie aufhalten konnte. Dann sprang sie. Shiro hat es gesehen – das Geburtstagskind aber nicht. Adrienne ist Ihr Ventil für die Angst. Shiro ist Ihr Gedächtnis. Shiro vergisst nichts .«

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    »Ich will das nicht sein.«
    »Ich weiß, Shiro.«
    »Ich wünschte, ich wäre das nicht.«
    »Ja, das ist wahr.«
    »Ich will nicht das Gedächtnis des Geburtstagskindes sein. Ich will mich nicht an alles erinnern. Aber ich kann dem Grauen nicht entkommen. Selbst wenn ich versuche wegzuschauen, sehe ich es immer noch. Ich sehe das Mädchen und die Gans und das Laub und Daddy, wie er da am Boden liegt, ganz rot.«
    »Ja. Aber im Augenblick spreche ich