Cadence Jones ermittelt - Davidson, M: Cadence Jones ermittelt
Band aufnehmen und dir schicken. Dann landest du wieder in der MIMH.«
Ich hörte ein unmissverständliches Schnauben der Verachtung. Dann legte Cathie auf.
80
Als ich vom Lunch zurückkam, wurde mir mitgeteilt, dass ich mich unverzüglich bei Dr. Nessman einfinden solle. So viel zu dem Tag, der so wunderbar begonnen hatte. Ich konnte mir schon vorstellen, was mich bei Nessman erwartete, und hatte keine große Lust dazu. Nicht zuletzt deshalb, weil der Onkel Doktor ja vollkommen recht hatte. Er hatte die ganze Woche lang immer wieder recht behalten.
Seine Sprechstundenhilfe Karen telefonierte gerade und bedeutete mir mit einer Handbewegung, schon mal ins Sprechzimmer zu gehen. Ich wappnete mich für den Pony-Ansturm, klopfte und ging hinein.
»Hallo, Cadence.«
Diese Ponys. Überall. Auf Postern und Bildern an der Wand. Pferdekopf-Buchstützen im Regal. Und zu allem Überfluss hatte man auch noch ein Hufeisen über die Eingangstür genagelt! (Dr. Nessman hielt es für einen Glücksbringer, woran man mal wieder sieht, dass auch Psychiater nicht gegen Wahnvorstellungen gefeit sind.)
»Hi, Dr. Nessman.«
»Hallo. Ich nehme nicht an, dass man Special Agent Pinkman schon gefunden hat?«
»Noch nicht.« Ich ließ mich in den anderen Sessel fallen. »Der Mann kennt schließlich unsere Taktik ganz genau, da kann es schon eine Weile dauern.«
Dr. Nessman schüttelte seinen Kopf und lächelte fein. »Aber Sie kennen auch seine Taktik. Und da Sie es sind, die den Fall bearbeitet, möchte ich nicht unbedingt in George Pinkmans Haut stecken.«
»Nein. Möchten Sie nicht.«
»Na schön.« Nessman starrte auf ein dickes Schriftstück herab, das vermutlich meine Akte darstellte – oder die Gelben Seiten von Chicago. »Cadence, lassen Sie uns über Verlagerung sprechen.«
Verlagerung. Zeitverlust. Hervortreten. Sich wieder zurückziehen. Alle diese Begriffe bedeuteten doch ein und dasselbe: Shiro und Adrienne kamen nun häufiger zum Vorschein, und ich hatte überhaupt keine Kontrolle über sie. Allerdings – nicht, dass ich sie je gehabt hätte.
»Okay«, sagte ich, obwohl es alles andere als okay war. »Was ist damit?«
»Ich denke, je länger Sie sich gegen Ihre Kindheitserlebnisse wehren, desto schwerer wird es Ihnen fallen, wieder heil und ganz zu werden.«
»Aber ich werde doch niemals ganz sein! Es wird immer nur eine Mischung aus Shiro, Adrienne und mir dabei herauskommen. Wir können nicht beides zugleich haben, stimmt’s?«
»Wie ich bereits in unserer letzten Sitzung gesagt habe«, hob Nessman an und betrachtete mich über den Rand seiner Brille hinweg, »Sie waren durchaus einst eine ganze Person. Der Zustand, in dem Sie sich jetzt befinden, ist das Ergebnis unerträglicher, unentrinnbarer Belastungen, die Sie während Ihrer Entwicklungsjahre erlebten.«
»Dr. Nessman, das weiß ich doch alles.«
»Und Sie haben natürlich völlig recht. Sollten Sie jemals wieder eine integrierte Persönlichkeit sein, dann werden Sie zwangsläufig eine Mischung aus allen dreien sein. Aber bedenken Sie die Alternativen: Was hat es zur Folge, wenn Shiro beschließt, die dominante Persönlichkeit zu werden? Oder Adrienne? Beide haben die Macht, Sie vollkommen beiseitezuschieben und Ihren Körper so zu benutzen, wie es ihnen gefällt. Was wäre, wenn eine oder beide beschließen sollten, Sie endgültig beiseitezuschieben?«
»Das würden sie doch nie tun!«, entgegnete ich und wand mich unbehaglich im Sessel.
»Um sich selbst zu retten? Oder um Sie loszuwerden? Natürlich würden sie es tun.«
»Dr. Nessman, ich hab im Moment wirklich furchtbar viel um die Ohren. Können wir nicht ein anderes Mal darüber sprechen?«
»Cadence. Das Gespräch darüber zu verweigern lässt das Problem doch nicht verschwinden.«
»Den Spruch haben Sie garantiert von einem Glückskeks!«
»Und mich zu necken hilft leider auch nicht.«
Elektroschocks vielleicht? Voller Unbehagen rutschte ich auf meinem Sessel hin und her, ich fühlte mich in die Ecke gedrängt. Dr. Nessman besaß die Geduld eines Felsens, aussitzen konnte ich das Problem also nicht. Außerdem berichtete er alles unmittelbar an Michaela weiter und konnte eine Suspendierung oder sogar meine Kündigung empfehlen. Und die Chancen standen gut, dass Michaela seinen Rat befolgte. Zumindest im Hinblick auf die Suspendierung. Dabei brauchte ich doch das Geld, um eine Digitalkamera zu kaufen und ausreichend Sexszenen brüderlicher Liebe festzuhalten, wie ich es Cathie versprochen
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