Cadence Jones ermittelt: Drei sind zwei zu viel (German Edition)
gibt es doch immer!«
Damit hatte sie nur zu recht. Zaghaft beendete ich das Gespräch. Ohhhh, dafür würde ich bezahlen müssen. Bezahlen, bezahlen und nochmals bezahlen.
Beim letzten Mal, als ich mir eine ordentliche Portion Cathie-Zorn zugezogen hatte, hatte sie meine Haustür in Limonengrün mit pastellblauen Streifen verschönert. Die Farben sahen nicht nur grauenhaft aus, sie hielten auch Gäste fern, die diesem Angriff auf die Sinne nicht standzuhalten vermochten. Und unser Streit war lediglich darum gegangen, ob Van Gogh sein Ohrläppchen aus Liebeskummer oder aus Wahnsinn abgeschnitten hatte. Er war nicht mal um ein inhaftiertes Familienmitglied gegangen, um des vermaledeiten verflixten Himmels willen!
»Michaela?«
»Wir haben einen Durchbruch. Kommen Sie sofort.«
»Ich … «
Ich was? Was sollte ich ihr denn sagen? Dass ich keine Ahnung hatte, was passiert war, weder mit Patrick noch mit JB ? Dass mir ein ganzer Tag fehlte, dass ich erst seit fünf Minuten wieder präsent war, und dass ich, ach ja, übrigens, seit Neuestem Hundebesitzerin war?
Wie sollte ich meiner Chefin, einer Frau, die ständig bis zu den Kinnbacken in bürokratischem Hickhack steckte, um mich in Lohn und Brot und überdies geistig gesund zu erhalten, begreiflich machen, dass ich, wie auch immer der Durchbruch aussehen mochte, mehr daran interessiert war, Patrick zu finden und zu helfen, und dass mir alles andere … nun … einigermaßen gleichgültig war?
Machte mich das zu einer guten Freundin, aber zu einer schlechten FBI -Agentin?
Max Gallo würde nie in eine solche Patsche geraten. Er würde seine Probleme selber lösen. Jeder, der solche Augen hat, kommt in Arrestzellen bestens klar .
Wo in aller Welt kam das denn jetzt her? Von allen Dingen, mit denen ich mich in diesem Moment nicht befassen sollte, stand Max Gallos Tausend-Yard-Blick ganz oben auf der Liste.
Ernsthaft, ich möchte mal eine nicht rhetorische Frage stellen: Wie werden Menschen, die nicht unter Tranquilizern stehen und nicht in psychiatrischer Behandlung sind, mit diesem täglichen Stress fertig? Das möchte ich wirklich gern mal wissen!
Ich weiß nur zu gut, was es bedeutet, eine Seele zu besitzen, die einen in entgegengesetzte Richtungen zerrt. Wenn ich über etwas zornig oder froh oder traurig bin, aber genau weiß, dass sich ein anderer Teil von mir über die gleichen Dinge freut oder sich ihrer schämt.
Es ist ein verwirrender Zustand, aber ich kenne mich bestens damit aus. Es ist wie eine Achterbahnfahrt auf der Kirmes. Man weiß, dass man nach der Fahrt mindestens eine Stunde lang mit Übelkeit kämpfen wird, aber deswegen von vornherein auf die Fahrt zu verzichten, ist undenkbar.
Ich hatte nie die Erfahrung gemacht, wie es war, wenn mein Herz in verschiedene Richtungen gezerrt wurde – ja, wenn es zwischen entgegengesetzten Gefühlen förmlich zerrissen wurde. Nicht mehr seit jenem Tag, als meine Mutter meinen Vater tötete und ich mich von einem einzelnen Mädchen in drei aufspaltete. Zum ersten Mal begriff ich auf der Gefühlsebene – und nicht auf der intellektuellen – das ganze Ausmaß meiner Bewältigungsstrategie. Mein Ich hatte sich vor einer Zersplitterung in tausend Teile zu schützen gewusst, indem es eine kontrollierte Spaltung in drei Ich-Persönlickeiten erzwang.
Ich konnte auch nicht umhin zu bemerken, dass Shiro, egal, wie erschöpft oder verängstigt ich war, nicht mehr sofort erschien, um mir zu helfen. War das Fortschritt? Oder Streik? Je angespannter ich wurde, desto mehr erwartete ich, aufzuwachen und mich einen Tag in die Zukunft versetzt wiederzufinden. Aber ich blieb, wo ich war.
Dies war der Albtraum, zu dem mein alltägliches Leben geworden war: Dass ich darüber glatt enttäuscht war, nicht mehr aus dem Kontrollraum meines Körpers vertrieben zu werden.
Zu wissen, dass der Teil von mir, der es liebte, Rätsel zu lösen und die Bösen zu fangen, ebenso viel von meinem Herzen verlangte wie der Teil, der alles fallen lassen und auf der Stelle zu Patrick wollte – das war eine neue und schreckliche und gleichzeitig eine wunderbare Erfahrung.
Und Dr. Gallo? Dr. Max Gallo? Nichts weiter als ein flüchtiger Bekannter und darüber hinaus mit einem der Opfer verwandt. Ein Mann, an den ich nur in beruflicher Hinsicht denken sollte … was ich allerdings nie getan hatte. Nicht ein einziges Mal.
Ich schätze, man könnte sagen, dass ich derzeit einen Gewissenskonflikt erlitt. (Oder mehrere.)
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»Eines muss man
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