Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
Vom Netzwerk:
Menschenschlages zeigt sich stets erst nach geraumer Zeit. Im Rudel sind sie immer harmlos, einzeln um so gefährlicher. Wie alle Pariser, hatte Molineux einen gewissen Herrscherdrang in sich. Irgendwie muß ein Pariser seine Souveränität bestätigen: an Weib oder Kind, am Mieter, Portier, Kommis, Diener, Pferd, Hund oder am Kanarienvogel. An irgendeinem armen Opfer rächt er sich für die Unbill, die ihm von Höherstehenden widerfahren. Der wacklige, alte Molineux hatte weder Frau noch Kind, weder Neffen noch Nichte. Seine Haushälterin behandelte er zwar grob, aber er konnte ihr nicht viel am Zeuge flicken, da sie jede Reibung vermied, indem sie ihren Pflichten höchst gewissenhaft nachkam. Seinen Tyrannengelüsten fehlte der Prügeljunge. Um sie dennoch zu befriedigen, hatte er die Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches über Mietverträge und Verhältnis zwischen Hausbesitzer und Mieter auf das gründlichste studiert; auf diesem Einzelgebiet war er ein halber Jurist geworden. Niemand verstand sich so gut wie er auf die Verwaltung eines Hauses in Paris bis in die nebensächlichsten Umstände: auf Pflichten, Rechte, Steuern, Abgaben, Lasten, Reinigungs- und Beleuchtungsvorschriften, Baugesetze, Verbote, Wasserwesen, Grubenräumerei, sanitäre Maßregeln, Polizeibefugnisse und so weiter. Er schonte weder Geld, Zeit, Mühe noch Geist; alles strengte er an, um sich in seinem Beruf als Hausbesitzer auf dem laufenden zu erhalten. Anfangs hatte ihn das belustigt, dann war es ihm zur Manie geworden. Ganz besondern Spaß machte es ihm, andere Hausbesitzer gegen behördliche Übergriffe zu wappnen. Da sein Tatendrang aber hierin selten Nahrung fand, richtete er ihn schließlich gegen seine Mieter. Jeder Mieter war sein Feind, sein Untergebener, sein Untertan, sein Dienstmann, sein Sklave, der ihm Ehrerbietung schuldete. Wer ohne Gruß auf der Treppe an ihm vorüberging, war ein Flegel.
    Die Mietquittungen schrieb er eigenhändig und schickte sie am Fälligkeitstage mittags aus. Säumige Zahler bekamen einen Zahlungsbefehl. Dann folgten Klage, Pfändung, Kosteneintreibung und was drum und dran hängt mit fabelhafter Schnelligkeit. Molineux bewilligte keinen Aufschub, nicht die geringste Frist: in puncto Miete war sein Herz von Stein.
    »Ich will Ihnen Geld leihen«, pflegte er zu sonst zahlungsfähigen Mietern zu sagen, »aber bezahlen Sie mir meine Miete! Jede Verzögerung zieht Zinsenverlust nach sich, für den einen kein Mensch entschädigt!«
    Mieter folgen wie Dynastien aufeinander; ein jeder verwirft die Einrichtungen seines Vorgängers. Molineux studierte seine Leute. Eines Tages publizierte er eine Hausordnung, die er auf das gewissenhafteste ausgeklügelt hatte und auf deren Befolgung er peinlichst hielt. Der gute Mann ließ nichts reparieren: in seinem Hause rauchte nie ein Kamin, die Treppen waren ein für allemal sauber, die Zimmerdecken unbedingt weiß, die Simse selbstverständlich tadellos, die Fußböden ewig dauerhaft, der Anstrich sichtlich in Ordnung; die Türschlösser waren immer erst drei Jahre alt; zerbrochene Fensterscheiben und Mauerrisse waren Dinge der Unmöglichkeit. Schäden sah er nur, wenn jemand auszog; dann ließ er sie sich vom Schlosser, Glaser und Stubenmaler bestätigen. Dem Mieter stand im übrigen frei, Verschönerungen vorzunehmen. Richtete aber ein Unvorsichtiger seine Wohnung auf eigene Kosten her, dann grübelte der kleine Molineux Tag und Nacht darüber nach, wie er ihn aus seinem Hause verscheuchen und die vorgerichteten Zimmer selber bewohnen könne. Er umlauerte ihn, stellte ihm nach, kurz, er führte alle erdenklichen Bosheiten gegen ihn ins Feld. Er kannte alle Finessen der Pariser Gesetze und Bestimmungen, die für einen Hausbesitzer in Frage kamen. Prozeßsüchtig und schreibselig wie er war, richtete er verbindliche und höfliche Briefe an seine Mieter; aber hinter aller Freundlichkeit verbarg sich – ebenso wie hinter seinem zuvorkommend lächelnden Gesicht – die Seele eines Shylock. Seine Mietverträge enthielten eine Menge mißlicher Bestimmungen; er verlangte halbjährliche Vorausbezahlung; er überzeugte sich, ob die vermieteten Räume auch mit genügenden Möbeln zur eventuellen Deckung nichtgezahlter Miete versehen waren. Jeden neuen Mieter unterwarf er einer Art Kreuzverhör; gewisse Berufe konnte er nicht ausstehen; der leiseste Hammerschlag empörte ihn. Kam es endlich mit einem neuen Mieter zum Vertragsabschluß, so buchstabierte er den Kontrakt erst

Weitere Kostenlose Bücher