Cäsar Birotteau (German Edition)
Haben wir je an der Dankbarkeit unserer vielgeliebten Herrscher gezweifelt?«
»Sie müssen sehr glücklich sein, meine Liebe!« wandte sich Frau Ragon an Konstanze.
»O ja«, entgegnete die schöne Parfümeursfrau ganz im Banne des königlichen Sonnenknickers, der altmodischen Haube und des riesigen Busentuches à la Julie.
»Cäsarine ist reizend. Kommen Sie doch näher zu mir, mein liebes Kind!« sagte Frau Ragon gönnerhaft mit ihrer Fistelstimme.
»Machen wir die Geschäfte vor Tisch ab?« fragte Onkel Pillerault.
»Wir müssen auf Claparon warten. Als ich ihn verließ, zog er sich bereits an«, entgegnete Roguin.
»Roguin«, rief Cäsar, »Sie haben ihm doch hoffentlich gesagt, daß wir in dem gräßlich engen Zwischengeschoß essen ...«
Vor sechzehn Jahren fand er es prächtig, dachte Konstanze betrübt bei sich.
»... mitten unter Schutt und Arbeitern.«
»Tut nichts!« meinte Roguin; »Sie werden einen guten Kerl kennenlernen, der keine Ansprüche macht.«
»Ich habe Raguet im Laden als Posten ausgestellt. Durch die Haustür kann man momentan nicht gehen! Sie haben wohl gesehen, daß alles demoliert ist«, sagte Cäsar zum Notar.
»Warum haben Sie Ihren Neffen nicht mitgebracht?« fragte Pillerault Frau Ragon.
»Kommt er nicht?« fügte Cäsarine hinzu.
»Nein, mein Herzblättchen! Anselm rackert sich zu Tode, der gute Junge! Die luft- und lichtlose Rue des Cinq-Diamants macht mir Sorge. Im Rinnstein fließt's immer grün, blau oder schwarz. Ich fürchte, er kommt dort um. Aber laßt nur junge Leute etwas im Kopfe haben!'«
Bei dem Worte »Kopf« tippte sie sich auf das Herz und blinzelte Cäsarinen zu.
»Er hat also fest gemietet?« fragte Cäsar.
»Gestern, und zwar vor dem Notar. Auf achtzehn Jahre!«
»Na, Ragon, sind Sie mit mir zufrieden?« fragte Cäsar; »ich habe ihm das Rezept einer Entdeckung überlassen!«
»Sie sind immer der liebe gute Cäsar!« entgegnete der alte Ragon, indem er Birotteau kräftig die Hand drückte.
Roguin war nicht ohne Besorgnis, wie sich Claparon, dessen Wesen und Manieren einen braven Spießbürger nicht gerade berückten, einführen würde. Er hielt es deshalb für nötig, die Gemüter vorzubereiten.
»Sie werden in Claparon ein Original kennenlernen, das seine Geistesgaben unter einer rauhen Hülle verbirgt. Er hat sich aus sehr untergeordneter Stellung emporgearbeitet. Wenn er weiterhin viel mit Bankiers verkehrt, wird er ohne Zweifel bessere Formen annehmen. Man kann ihm zuweilen auf den Boulevards oder im Café begegnen, bummelnd oder Billard spielend und nicht besonders gut angezogen. Er macht da seine Beobachtungen oder grübelt nach, wie er die Industrie durch neue Einfalle heben kann.«
»Ich begreife das«, versetzte Birotteau, »meine besten Ideen sind mir gekommen, wenn ich rumbummelte. Nicht wahr, Konstanze?«
»Claparon«, fuhr Roguin fort, »gewinnt in der Nacht die Zeit wieder, die er am Tage darauf verwendet hat, Geschäfte auszuklügeln. Alle Genies führen ein bizarres, mystisches Dasein. Na, ich weiß es aus eigener Anschauung. Bei ihm geht alles drunter und drüber, aber an sein Ziel kommt er immer! Er hat in unserer Sache alle Grundstücksbesitzer zum Nachgeben gebracht; sie wollten erst nicht alle, manche waren argwöhnisch. Claparon hat sie bearbeitet, ihnen was vorgemacht, sie immer wieder heimgesucht, und so sind wir nun Herren der Baustellen!«
Ein sonderbares Brummen, das Schnaps- und Likörtrinkern eigen ist, kündigte das originelle Wesen an, das Cäsars Zukunft in die Hände bekommen und entscheiden sollte. Birotteau eilte auf die enge, dunkle Innentreppe, sowohl um Raguet das Schließen des Ladens anzubefehlen, als auch um sich bei Claparon über den Empfang im Eßzimmer zu entschuldigen.
»Was denn ? Ist ja hier alles ganz famos, um lustig... ich wollte sagen, um Geschäfte zu erledigen!« meinte der Ankömmling.
Trotz der geschickten Vorbereitung Roguins wurden die waschechten Spießbürger, der Philosoph Pillerault, Cäsarine und ihre Mutter durch die Erscheinung dieses angeblichen Bankiers der obern Zehntausend anfänglich doch sehr unangenehm berührt.
Claparon war ungefähr achtundzwanzig Jahre alt und hatte nicht ein Haar mehr auf dem Kopfe. Deshalb trug er eine Perücke mit Korkzieherlocken, die sein finniges, braunrotes, ausgemergeltes Gesicht nur noch auffälliger machten. Vorzeitige Runzeln und tiefe Falten zeugten von seinem liederlichen Leben, nicht minder die verdorbenen Zähne und die dunklen
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