Cäsar Birotteau (German Edition)
Fortschritt verdanken! Was dürfen wir alles vom Dampf, vorn Telegrafen und andern modernen Dingen noch erwarten! Kephalol ist das jüngste Resultat der Forschungen des Herrn Professors Vauquelin!‹ Wie wär's übrigens, wenn wir dazu eine Stellungnahme aus einer der Vorlesungen Vauquelins in der Akademie der Wissenschaften abdruckten, die unsere Behauptung bestätigt? Was? Famos! – Na, Finot, jetzt auf zu Tisch! Vertilgen wir die Atzung und den edlen Wein auf das Glück unseres jungen Freundes und Erfinders!«
»Ich bin der Ansicht«, sagte der Schriftsteller bescheiden, »daß die Zeiten des scherzhaften Prospekts vorbei sind. Wir leben im Zeitalter der Wissenschaft; somit bedarf es des gelehrten Dissertationsstiles, des Professorentones, um dem Publikum zu imponieren.«
»Unser Kephalol wird rasend abgehen, mir juckt es schon in allen Gliedern!« rief Gaudissart aus. »Ich bekomme Aufträge von allen, die sich mit Haarpflege befassen. Keine Fabrik gibt mehr als dreißig Prozent. Geben wir vierzig, und ich bürge für hunderttausend Flaschen in einem halben Jahre! Ich werde alle Apotheker, Drogisten und Friseure von ganz Frankreich besuchen! Wenn wir ihnen vierzig Prozent geben, überschütten sie ihre ganze Kundschaft mit Kephalol!«
Die drei jungen Leute aßen wie die Löwen und zechten wie die Bayern. Der künftige Erfolg des Kephalol berauschte sie.
»Dieses Kopföl wirkt wirklich auf den Kopf!« scherzte Finot.
Gaudissart erschöpfte sich nun in ähnlichen Wortspielen. Mitten unter dem homerischen Gelächter der drei Freunde beim Nachtische schlug der Türklopfer zum drittenmal an.
»Das ist mein Onkel! Ich glaube gar, er will mich besuchen!« meinte Popinot.
»Ein Onkel, und wir haben kein Glas für ihn!« rief Finot.
»Der Onkel meines Freundes Popinot ist Kreisrichter!« belehrte Gaudissart den Schriftsteller. »Er darf nicht angeulkt werden. Er hat mir einmal das Leben gerettet. Ich sage dir, wenn man sich einmal in seinem Leben derartig in hochnotpeinlichster Klemme befunden hat wie ich, beinah schon unter der Guillotine, wo es heißt: ›Ratz! Adieu Kopf!‹ – dabei machte er das verhängnisvolle Fallbeil durch eine Geste nach –, dann erinnert man sich sein lebelang des Mannes, dem man die Erhaltung der Rinne dankt, durch die der Sekt zum Magen rieselt. Man erinnert sich dieses Mannes und wenn man sternhagelvoll ist! Du weißt übrigens gar nicht, lieber Finot, ob du nicht auch noch einmal diesen Herrn Popinot nötig hast. Hol mich der Teufel, wir sind dem Manne Respekt schuldig, und zwar gehörig!«
Der Richter fragte bei der Hausmannsfrau in der Tat nach seinem Neffen. Als Anselm seine Stimme erkannte, ging er mit dem Leuchter in der Hand hinunter, um ihn heraufzugeleiten.
»Guten Abend, meine Herren!« sagte der Eintretende.
Gaudissart verneigte sich tief. Finot begrüßte ihn mit trunkseligen Augen, er fand ihn recht trottelig.
»Besonders luxuriös ist es hier nicht!« bemerkte der Richter ernst, indem er sich im Zimmer umblickte. »Aber, mein lieber Anselm, wenn man etwas Großes werden will, muß man es verstehen, damit anzufangen, nichts zu sein.«
»Was ist das für ein Philosoph!« flüsterte Gaudissart Finot zu.
»Stoff zu einem ganzen Artikel!« entgegnete der Journalist.
»Aj, da sind Sie ja, Herr Gaudissart!« rief der Richter, indem er den Reisenden erkannte. »Was machen Sie denn hier?«
»Herr Kreisrichter, ich habe die Absicht, soweit das in meinen schwachen Kräften steht, zu dem Glück Ihres lieben Neffen beizutragen. Wir haben eben über den Prospekt seines neuen Haarmittels konferiert, und hier in diesem Herrn sehen Sie den Verfasser des Prospektes. Er dünkt uns eine Glanzleistung der Parfümerieliteratur zu sein!«
Der Richter sah Finot an. Gaudissart fuhr fort:
»Herr Andochius Finot, einer der begabtesten jungen Literaten! Er ist der Verfasser von politischen Leitartikeln in den Zeitungen der Regierung und schreibt auch kleine Theaterstücke. Ein Minister und Dichter in spe!«
Finot zupfte Gaudissart am Rockschoß.
»Na, das ist ja sehr schön, meine lieben Kinder!« versetzte der Richter, dem diese Worte die Anwesenheit der Reste eines wohl zu entschuldigenden Schmauses auf dem Tisch erklärten. »Mein lieber Freund«, fügte er zu seinem Neffen gewandt hinzu, »zieh dich an! Wir wollen heute abend zu Herrn Birotteau gehen. Ich bin ihm einen Besuch schuldig. Ihr werdet euren Gesellschaftsvertrag unterzeichnen. Ich habe ihn sorgfältig geprüft. Ich
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