Cäsar Cascabel
gelitten zu haben.
Die Belle-Roulotte war nicht ohne große Anstrengungen in die Mitte der Eistafel gebracht worden. Dort hatte man sie mit den Seilen und Stangen des bei früheren Jahrmarktsvorstellungen benützten Zeltes so stark befestigt, daß sie nicht mehr Gefahr lief, umgestürzt zu werden.
Am beunruhigendsten aber waren die heftigen Zusammenstöße mit großen Eisbergen, die sich mit ungleicher Schnelligkeit fortbewegten, je nachdem sie in Strömungen oder Wirbel hineingerieten. Einige dieser Eisberge, von fünfzehn bis zwanzig Fuß Höhe, schienen sich wie beim Entern auf die Eistafel stürzen zu wollen. Man gewahrte sie von weitem, man sah sie kommen und vermochte ihrer brutalen Berührung doch nicht auszuweichen, es gab welche, die lärmend umschlugen, wenn die Verschiebung ihres Schwerpunktes ihr Gleichgewicht störte; aber wenn sie anstießen, so war die Erschütterung äußerst bedenklich. Die Stöße waren oft so stark, daß alles im Innern des Wagens zerbrochen wäre, wenn man nicht rechtzeitig gewisse Vorsichtsmaßregeln getroffen hätte. Man sah sich immerwährend der Gefahr einer möglichen und jähen Katastrophe ausgesetzt. Sobald daher das Nahen irgend eines großen Blockes gemeldet wurde, versammelten Herr Sergius und seine Gefährten sich um die Belle-Roulotte und klammerten sich an einander an. Jean suchte in Kayettens Nähe zu kommen. Die schrecklichste von allen Möglichkeiten wäre die gewesen, getrennt, auf verschiedenen Trümmern der Eistafel fortgeschwemmt zu werden. Übrigens gewährte die Tafel weniger Sicherheit an ihren Rändern, als in der Mitte, wo ihr Durchmesser bedeutender war.
Während der Nacht hielten Herr Sergius und Herr Cascabel, Jean und Clou abwechselnd Wache. Sie verwandten ihre ganze Sorgfalt auf die Erforschung der tiefen Dunkelheit, in welcher ungeheure weiße Gebilde wie Gespenster vorüberglitten. Obgleich der Raum von Nebeln erfüllt war, die der endlose Sturm vor sich her trieb, goß der sehr niedrig am Horizont schwebende Mond einen blassen Schein darüber aus und machte die Eisberge in ziemlicher Entfernung kenntlich. Dann scheuchte der Ruf des eben Wachenden die übrigen empor und sie erwarteten vereint die Folgen des Stoßes.
Häufig änderte der Eisberg seinen Kurs und trieb in einiger Entfernung vorüber; aber manchmal gab es Zusammenstöße, daß die Seile rissen und die Stangen der Belle-Roulotte nachgaben. Es war, als ob alles brechen sollte; man mußte sich glücklich schätzen, die Kollision ausgehalten zu haben.
Und noch immer war die Temperatur anormal! Und in der ersten Woche des November war das Meer noch nicht zugefroren! Noch immer war die See, mehrere Grade oberhalb des Polarkreises, schiffbar! Es war wirklich ein Verhängnis! Und wäre wenigstens ein auf seiner Jagd verspäteter Walfischfahrer in Sicht gekommen! man hätte ihm Signale geben, seine Aufmerksamkeit durch Schüsse erregen können! Er würde die Schiffbrüchigen aufnehmen und in irgend einem amerikanischen Hafen, nach Viktoria, San Francisco, San Diego, oder an die sibirische Küste, nach Petropawlowsk oder Okholsk gebracht haben… Aber nein! kein einziges Schiff! Nichts als treibende Eisberge! Nichts als das ungeheure, öde Meer, das im Norden von der unübersteiglichen Eisbarriere begrenzt war!«
Zum Glück bot die Nahrungsfrage, wenn die klimatische Anomalie nicht etwa unwahrscheinlich lange fortdauerte, für die nächsten Wochen keinen Grund zu Besorgnis. Im Hinblick auf eine lange Reise durch die asiatischen Gebiete, wo man nicht leicht Nahrungsmittel bekam, hatte man einen reichlichen Vorrat von Konserven, Mehl, Reis, Schmalz und so weiter mitgenommen. Um die Ernährung des Gespanns hatte man sich – leider! – nicht mehr zu kümmern. Man muß gestehen, wenn Vermout und Gladiator den Eisbruch überlebt hätten, so hätte man jetzt ihren Bedürfnissen kaum zu entsprechen vermocht.
Bis zum sechsten November ereignete sich nichts Neues; höchstens daß der Wind ein wenig schwächer wurde und sich unbedeutend nach Norden drehte. Der Tag währte jetzt kaum zwei Stunden – was die Schrecken der Situation noch vergrößerte. Trotz der unaufhörlichen Beobachtungen des Herrn Sergius wurde es sehr schwer, den zurückgelegten Weg zu kontrollieren und da man kein Besteck machen konnte, wußte man nicht mehr, wo man war.
Indessen vermochte man am siebenten November einen Orientierungspunkt zu ermitteln und ziemlich genau zu fixieren.
An jenem Tage hatten Herr Sergius und
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