Caesar erwacht!
und verdrehte dabei die Augen.
„Jean-Luc, lass die Witze! Mir ist nicht danach zumute. Hast du einen starken Kaffee für mich?“
„Aber sicher, Chérie“, lächelnd goss er den Kaffee in einen Becher. „Siehst du, bei uns ist diese unzivilisierte Masche auch eingezogen. Wir benutzen amerikanische Eimer, anstatt feinstes Porzellan. Wo soll das noch hinführen“, sagte er pikiert und trank, den kleinen Finger abgewinkelt, wie aus einer filigranen chinesischen Teetasse.
Nicole musste darüber jetzt doch lachen. Ihr Bruder war überhaupt eine Ausgeburt an Witz und Charme. Leider war sie nicht gekommen, um diese Attribute zu genießen, sondern aus einem ernsten, traurigen Anlass.
Beide tauschten jetzt sehr intensiv ihren Wissensstand zu den jeweiligen Ermittlungen aus, wobei Nicole auch nicht vergaß, Jean-Luc über die Visionen von Gowan aufzuklären.
„Tja, der liebe Gowan. Wenn ich ihn nicht schon selbst in Aktion erlebt hätte, würde ich alles als Humbug abtun. Aber ich würde ihn sehr ernst nehmen, Nicole. Gehe jeder noch so kleinen Spur nach, Liebes! Das mache ich auch. Das ist alles, was wir haben.“
„Ich werde nach meiner Rückkehr mit Bob in den Londoner Untergrund abtauchen. Und damit meine ich nicht die Metro. Die toten Frauen stammen in London allesamt aus der Obdachlosenszene. Also werde ich mich dort höchstpersönlich umhören“, erklärte Nicole sehr bestimmt.
„Wirst du dich wieder verkleiden? Diesmal vielleicht als Clochard?“
„Genau das habe ich vor, Jean-Luc. Nur so gelange ich an Insider-Informationen.“
„Wir sind schon ein seltsames Paar. Findest du nicht?“, Jean-Luc schmunzelte. „Ich eifere schönen Frauenfiguren nach und verkörpere sie mit Leib und Seele. Du verkörperst irgendwie die scharfsinnigsten Attribute eines Mannes, eines fiktiven, aber dennoch sehr attraktiven Helden. Ich Netzstrümpfe, du Tweedanzug. Dir fehlt nur noch seine seltsame Kopfbedeckung und seine Pfeife“, Jean-Luc lachte schallend und schlug sich auf die Oberschenkel.
Nicole lächelte etwas gequält mit.
„Du musst auf alle Fälle sehr aufpassen, Kleines. Diese Szene ist gefährlich. Nimm unbedingt eine Waffe mit!“
„Ich habe eine wandelnde Armee bei mir, wenn sie denn mal wieder funktioniert. Bob ist kampferfahrener Pilot bei der US Air Force gewesen. Ich hoffe, er erinnert sich an ein paar Tricks. Er scheint etwas aus der Übung zu sein. Aber er kennt sich in diesem Milieu bestens aus und wird mir den Weg weisen – in dunkler Nacht.“
„Wieso kennt er sich aus?“
„Jean-Luc, ich habe diesen reizenden Burschen quasi aus dem Müll gezogen. Er war irgendwie aus der Bahn geworfen worden und dort gelandet. Seine Geschichte ist auch recht kompliziert. Erzähl ich dir ein anderes Mal. Auf alle Fälle hat er eines der Ripper-Opfer gefunden. Nun ja, es gibt schönere Orte, um zu sterben beziehungsweise abgelegt zu werden, als unter einem Pappkarton.“
Jean-Luc war zum ersten Mal sprachlos und nickte nur stumm. Offenbar bewegte ihn nicht nur das Schicksal der Frauen, sondern auch das dieses Mannes, den er kaum kannte. Er war wie seine Schwester ein sehr sensibler und mitfühlender Mensch. Und auch Jean-Luc kannte das Auf und Ab im Leben, was speziell von engstirnigen Individuen noch negativ intensiviert werden konnte. Weil Menschen andere Menschen nie so nahmen, wie sie gerne sein wollten. Schon mit der Zeugung wurde das Schicksal eines jeden Menschen festgelegt. Davon war Jean-Luc fest überzeugt. Und damit mahlte das Mühlrad der Zwangsunterdrückung unweigerlich schon vor der Geburt. Hast du das gewünschte Geschlecht erwischt? Eine Krankheit geerbt? Passt deine Hautfarbe zum Heimatland? Schicksale, auf die du keinen Einfluss hast. Und zu Dingen, auf die du nach der Geburt Einfluss nehmen könntest, wird von außen alles aufdiktiert. Eltern, Verwandte, Nachbarn, Lehrer, Freunde, Arbeitskollegen, Politiker … Nun, bei Jean-Luc stand schon vor der Geburt fest, welche Neigungen er später haben würde, die Reaktion seiner Eltern und Umwelt inbegriffen. Und somit war sein Leben vorprogrammiert. Er kannte das Abrutschen und Straucheln nur zu gut. Seiner Dienststelle verkaufte er seine homosexuelle Neigung als Undercoveragent. Die Marlene-Dietrich-Interpretation sollte in diesem Fall zum Erfolg der französischen Polizei beitragen, denn die französische Leiche wurde in Wahrheit in einem anderen Milieu gefunden. Ein Milieu, das Jean-Luc bestens vertraut
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