Caesar erwacht!
Frack-Oberteil bedeckte seine nackte, haarlose Männerbrust, und unendlich lange Beinpaare in Netzstrümpfen betörten so manchen weiblichen wie männlichen Besucher. In der schlanken Hand hielt er eine lange Zigarette, auf einer edlen Spitze in Elfenbein gefasst. Auf seinen Nägeln glänzte eine rote Lackierung, blonde Locken umrundeten sein feminin wirkendes Gesicht.
Als er Nicole erblickte, blinzelte er ihr zu und nickte fast unmerklich. Nach seiner Darbietung kam er an den Tisch, an dem sich die drei Nachtschwärmer niedergelassen hatten.
„Nicole, Chérie!“, rief er aus und riss Nicole herzlich in seine Arme.
Obwohl Travestie, spürte Bob wieder diesen undefinierbaren Schmerz. Immer dann, wenn ein Mann Nicole zu nahe kam. Egal, welcher Machart.
„Bob, darf ich dir meinen Bruder Jean-Luc vorstellen, den Stolz unseres Vaters. Den Stolz eines jeden Vaters!“, sagte sie schmunzelnd, weil sie bereits Bobs verwundertes Gesicht wahrnahm. Dieser war zugegebenermaßen schon wieder etwas in Verwirrung geraten, in Anbetracht dieser erneuten Verkündigungen.
Eigentlich hätte Bob in jedem Fall gewarnt sein müssen, nachdem er nun schon über eine Woche mit Nicole herumgezogen war. Aber sie konnte ihm immer noch Überraschungen bieten. Er bemühte sich, zu lächeln, und reichte dem Künstler tapfer die Hand. Der Händedruck gestaltete sich für Bob ungeahnt kräftig.
Nachdem Jean-Luc auch Jo herzlich begrüßt hatte, gesellte er sich zu den dreien an den Tisch und rief den Kellner herbei.
„Garcon, Darling, eine Flasche Champagner. Wir haben Anlass, um zu feiern. Mein Schwesterlein ist extra aus London gekommen, um meine neue Show zu bewundern. Und? Gefällt es euch?“, fragte er mit weibischem Schwung und klimperte mit seinen falschen Wimpern.
„Jean-Luc, du weißt doch, wie sehr! Ich bin dein größter Fan.“ Nicole klatschte nachträglich noch einmal in die Hände, worauf Jean-Luc aufstand und sich vor allen wiederholt verbeugte. Er liebte den Applaus. Besonders von seiner kleinen Schwester. Weil Nicole die einzige Blutsverwandte war, die ihn so nahm, wie er war. Die ihm sogar ihre zwei geliebten Kinder anvertraute. Die Zwillinge, Jungs im Alter von fünfzehn Jahren, waren in der Nähe von Paris in einem Internat untergebracht. Am Wochenende durften sie ihren Onkel besuchen, sogar seine Revue anschauen und den Urlaub mit ihm verbringen. Welche Schwester beziehungsweise Frau sonst überließ zwei halbwüchsige, bildhübsche Teenager der Obhut eines homosexuellen Mittvierzigers?
Christian und Tristan waren für Jean die Söhne, die er niemals haben würde. Er war Nicole besonders dankbar, weil er mit ihnen seinen Vatertrieb ausleben durfte. Einen anderen unterstellte sie ihm gar nicht erst!
Bob wurde von Jean-Luc zu allen Nuancen von Nicoles und seinem verwerflichen Verhalten dem Vater gegenüber aufgeklärt. Er erhielt erstmalig Kenntnis von Nicoles doppelter Mutterschaft und einen kleinen Einblick in das Savoir Vivre eines französischen Lebemannes mit weiblicher Auslebung. Auch erzählte er dem verdutzten Bob, wie er schon sehr früh Nicoles Kleider ausprobiert hatte, die sich seit ihrer Pubertät immer mehr in Hosen und Lederjacken gewandelt hatten. Zu seinem großen Leidwesen.
„Mein Lieber, probieren Sie es aus! Wenn Sie eine Frau verstehen wollen, tragen Sie ihre Kleider! Und vor allem diese schrecklich engen Bustiers und Miederhosen. Von Pumps ganz zu schweigen! Sie werden ganz automatisch zur Femme Fatale! Sie können gar nicht anders!“, erklärte er lachend, und die Runde, außer Bob, lachte schallend mit.
Bob stellte sich Nicole gerade in Mieder und Bustier vor, was ihm nicht gelingen wollte. Sie trug eine Perfektion zur Schau, im Tragen von männlicher Kleidung mit versteckt weiblicher Note, die nur in London Schule machen konnte. Das genaue Gegenteil ihres Bruders.
Er wurde mitten aus seinen Gedankengängen gerissen, als Nicole Jean-Luc eine sonderbare Frage stellte: „Was hast du gehört? Was sagt man in deiner Clochard-Szene über den Mord? Die gleiche Vorgehensweise wie bei uns in London? Oder ist er sogar derselbe Täter? Die Tat wurde um einen Tag zeitversetzt begangen. Aber diese Umstände würde sich doch niemand machen. Töten in London, hetzen nach Paris, töten hier. Der käme ja ins Rekordbuch! Und vor allem ins Schwitzen.“
„Ein Nachahmer fällt aus, Nicole. Wir haben genau wie Scotland Yard viele Details nicht an die Presse gegeben. Sie stimmen
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