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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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war damals die Frau des patrizischen Tiberius Claudius Nero (bitte, denken Sie jetzt nicht an »Nero«). Alle Welt wunderte sich, mehr noch: war sprachlos, als einige Monate später Augustus die Scheidung erzwang und die hochschwangere Livia heiratete. Das ereignete sich im Jahre 38, als Augustus vom Scheitel bis zur Sohle noch in der Haut von Octavian steckte. Das Kind, das zur Welt kam, war jener Drusus. Aus dem Kinde wurde ein Mann, und zwar einer, der das Äußere seines Stiefvaters Octavian hatte (was er doch eigentlich nicht haben durfte) und den ernsten Charakter seiner Mutter Livia. Er wurde Offizier, sehr tüchtig, sehr beliebt, kämpfte sehr kühn in Nordgermanien, stürzte bei einer harmlosen Gelegenheit vom Pferd und starb.
    Der fünfte war also auch tot. Es wurde einsam um Augustus. Jetzt gab es nur noch Babies, die seine Genen trügen. Er erwachte daher notgedrungen aus seinem »Eigen-Blut«-Traum. Der realistische Staatsmann besann sich und fügte sich dem Schicksal. Er war nun sechzig Jahre alt, es mußte etwas geschehen, und zwar sofort und für den Augenblick.
    Es gab nur einen einzigen Mann, dessen Ruhm in den letzten Jahren steil emporgeschossen war und der wenigstens einen gewissen Verwandtschaftsgrad erfüllte: Tiberius Claudius Nero d. Jüngere (nein, nein, er ist immer noch nicht der »Nero«), wie sein Bruder Drusus ein Sohn Livias aus erster Ehe. Ein schwerer Schritt: Augustus mochte den Mann nicht. Aber das ist nichts im Vergleich zu den Gefühlen, die Tiberius umgekehrt für Augustus hegte.
    Als erstes wurde die alte Blutsmühle wieder in Betrieb gesetzt: Tiberius mußte Agrippa-Witwe Julia heiraten. Er hoffte, es ertragen zu können, wenn es ihm gelang, ständig beim Heer zu leben und nie zu Hause zu sein.
    Was er damit erreichte, war, daß die Strohwitwe Julia ein öffentlicher Skandal wurde und Augustus, der alles scheitern sah, sich in einen Vulkan verwandelte wie zu alten Zeiten. Bei einem der wenigen längeren Aufenthalte des Tiberius in Rom kam es zwischen beiden zu einem furchtbaren Zusammenstoß. Tiberius, ohne Furcht wie stets, muß dem allmächtigen alten Manne Dinge gesagt haben, die einen anderen den Kopf gekostet hätten. Tiberius war ein patrizischer Claudier durch und durch, Nachkomme des berühmten Appius, und trug das Blut von lauter starrköpfigen, skurrilen »Graf Luckners« in sich. Wie seine Vorfahren war er stockkonservativ, pessimistisch-philantropisch und sehr verschlossen. Er empfand Augustus als abenteuerlichen Emporkömmling, das ganze Principat als Heuchelei und Julia als ein reines Brechmittel (was sie bestimmt nicht war, denn Ovid, dem man Feinfühligkeit nicht absprechen kann, war auch mit ihr im Bett).
    Nach der schrecklichen Auseinandersetzung warf Tiberius dem Princeps alle Ämter inklusive der tribunizischen Macht vor die Füße und ging (5 v. Chr.) freiwillig in die Verbannung nach Rhodos. Erst sieben Jahre später wurde er von Augustus zurückgeholt und (als letzter übriggebliebener Kronprätendent) der Not gehorchend adoptiert.
    Eine leere Versöhnung. Von seiten des Augustus aus Verzweiflung, von seiten des Tiberius aus Staatsräson.
    Julia war nicht mehr da. Ihr Vater selbst hatte sie verbannt. (Fast tat sie Tiberius jetzt leid.)
    Rom war ihm verleidet. Wie sollte das nur werden, wenn Augustus tot sein würde!
    Er drängte sich zu Heereskommandos am Ende der Welt. Das Ende der Welt war damals zum Beispiel Germanien, nicht weil es als so entfernt empfunden wurde, sondern weil der Furor teutonicus immer noch als das Dunkelste und Geheimnisvollste in den Köpfen der Römer spukte. Mit Recht. Der Norden und Westen Germaniens waren die indianischen »blutigen Gründe«. Im Süden aber sah es ganz anders aus. Im heutigen Schwaben und Bayern saßen, schon lange bevor Legionen dorthingelegt wurden, römische Kaufleute, hatten sich regelrecht angesiedelt, Handelsniederlassungen gegründet und langsam, tropfenweise, römische Kultur einsickern lassen. Tiberius konnte ohne große Schwierigkeiten die Donau zur »natürlichen Grenze« bis hinunter nach Ungarn machen. Es wurden Wälle und Kastelle angelegt und Städte gegründet, in denen man wie in Rom auf Wasserspülklosetts ging, statt hinter den Busch. Kaufläden säumten die gepflasterte Hauptstraße ein, man wohnte in Steinhäusern, man hatte geheizte Thermen, man ging (auf dem hintersten Rang) ins Garnisontheater. Noch heute sagen die Bayern, wenn sie auf die Preußen wütend sind (also immer): »Wir

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