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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Gefühl des Verlassenseins. Die Menschen, bis zu einem Alter von fünfzig Jahren und mehr, hatten mit Bewußtsein nichts anderes erlebt als das Principat des Augustus. Weit, weit zurück lag die Zeit der Machtkämpfe, der Revolutionen, der Banden, der Aufstände. Seit vierzig Jahren floß das Leben in nie gekanntem Gleichmaß dahin, durch Augustus abgeschirmt gegen Eruptionen, abgeschirmt gegen Opfer an Leib und Seele, nur noch zur Verfügung der persönlichen Entwicklung.
    Da standen nun die persönlich Entwickelten und warteten darauf, daß es so weitergehen würde. Ganz sicher hatte niemand von ihnen das Empfinden, unter einem »Kaiser« gelebt zu haben; dann wäre das Hangen und Bangen jetzt nicht so groß gewesen. Nein, Augustus war nicht etwas so Einfaches wie ein Kaiser gewesen (oder König oder Monarch), sondern etwas viel Komplizierteres: der Gesegnete, der vom Schicksal Geschickte, der Mann mit dem roten Telefon zu den Göttern. Kein Zweifel: einmal und wahrscheinlich nie wieder. Das Auserwähltsein konnte Augustus nicht vererben.
    Aber vielleicht hatte er Tiberius wenigstens mitgeteilt, welche Telefonnummer man zum Olympus wählen mußte. Und vielleicht hob, wenn nicht Jupiter, dann wenigstens Augustus selbst ab. (Kein Geringerer als ein Prätor hatte nach der Verbrennung des erhabenen Toten unter Eid ausgesagt, er habe die Gestalt zum Himmelsblau emporschweben sehen.)
    Ja, es gab Tiberius. Er behauptete zwar, die Telefonnummer nicht zu wissen, aber der Senat glaubte ihm nicht. Tiberius lehnte mehrmals ab, so oft, daß der Senat seine Bitten schon als beschämend zu empfinden begann. Auch das Volk hielt sein Weigern für Koketterie und war verärgert, daß Tiberius diesem feierlichen, festlichen Moment den ganzen Schmelz und Glanz nahm. Als er endlich, nach aufrichtigem Gewissenskampf, zusagte, hatte er es geschafft, sich selbst um die erste Glorie zu bringen.
    Es war ihm egal. Nicht aus Menschenverachtung, sondern aus Verachtung der menschlichen Eitelkeit.
    Er fühlte nichts von einem »augustus« in sich, er fühlte sich als kommissarischer Beamter. Die Macht, die in seiner Stellung als Princeps lag, war ihm sehr wohl klar, aber er war entschlossen, sie nicht zu gebrauchen, es sei denn im Militärischen, wo er sich kompetent fühlte, oder als Hüter der Gesetze.
    Der Senat, den Augustus so oft wie möglich aufgesucht hatte, bekam Tiberius kaum noch zu sehen, das Volk gar nicht mehr.
    Der alte Aristokrat ließ sich seine Überzeugung nicht durch den Glücksfall seiner immensen Erhöhung abkaufen, er blieb sich treu, er war nicht der Stefan George’sche »der Herr der Welt ist, der sich wandeln kann«. Infolgedessen ist es nicht verwunderlich (was weder die Römer noch spätere Geschichtsschreiber verstanden), daß er als erstes die Machtbefugnisse des Senats erhöhte, ihm die Gerichtsbarkeit zurückgab und dazu das Recht der Beamtenbestallung fügte, das bisher bei der Volksversammlung gelegen hatte.
    Der Senat stutzte, das Volk stutzte.
    Der Senat quittierte es ohne Dank, das Volk mit Murren. Das Murren der Plebs konnte Tiberius verstehen, den Senat nicht. Er hatte nicht mit Dankbarkeit gerechnet, aber doch wenigstens mit politischem Verständnis. Sahen die Senatoren nicht, daß sie wieder zu dem Instrument erhoben werden sollten, das sie in den »großen«, herrischen Zeiten gewesen waren? Sie sahen es; jedoch, instinktsicherer als Tiberius, empfanden sie den Preis als zu hoch: die Unpopularität des Princeps, die Degradierung des unentbehrlich gewordenen Suggestionsmittels auf das Volk. Es dauerte nur ein paar Jahre, da hatte Tiberius im Senat mehr Feinde als Freunde.
    Er gewöhnte sich immer mehr an, allen Festen und Feiern (er haßte die blutigen Circusspiele) fernzubleiben, ausgenommen die Ehrungen für Caesar und den inzwischen ebenfalls vergöttlichten Augustus. Wurde er selbst mit »Augustus« angesprochen, so zuckte er zusammen. Er verbot jede Devotion und nahm dem nach Mystik hungernden Volk damit alle Freude. Die Münzen, die geprägt wurden, trugen nicht mehr das Bildnis des Princeps sondern eine Hoheitsinschrift des Senats.
    Eine Kette von charaktervollen aber unseligen Entschlüssen eines Mannes, der auf den Platz eines Generalissimus oder Statthalters oder Gutsbesitzers gehörte. Tatsächlich verwaltete er die Arbeitsgebiete, denen er sich laut Gesetz nicht entziehen konnte, hervorragend; niemals wurden die Provinzen so sauber geführt, die Beamten zu solcher Korrektheit angehalten wie

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