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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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unter seiner Hand. Überall im Reich konnte der Bürger, auch der geringste, ein Gefühl absoluter Sicherheit und Gerechtigkeit haben; unbestreitbar viel mehr als unter Augustus.
    Als Soldat besaß er so viel Erfahrung wie einst Agrippa — wenn auch nicht dessen Schuß Genialität. War eine militärische Frage mit Politik in entscheidendem Sinne gekoppelt, so hielt er sich an den Instinkt des Augustus und seine Beispiele.
    Lauter vernünftige, selbstlose Entscheidungen. Aber sie traten ebenso wenig ins Scheinwerferlicht wie er selbst. Er vergrub sich immer mehr. Ein menschenscheuer Sonderling.
    An seiner Stelle pflegte seit einiger Zeit der Kommandeur der Stadtgarnison (Prätorianergarde), der Bulle Seianus, zu repräsentieren.
    Dieser Seianus, Zerrbild seines redlichen Vaters, der auch schon Prätor in Rom gewesen war, gedachte, etwas Leben in die Historie zu bringen, was ihm auch gelang. Unter der Maske des aufopfernden Dieners — nie servil, sondern als soldatisch-kurze »ehrliche Haut« — schlich er sich in das Vertrauen des sonst so Mißtrauischen ein, nahm ihm »alles Lästige« ab und machte ihm schließlich klar, daß die Dinge bestens von selbst liefen und der Princeps sich ein Ruhepäuschen von ein oder zwei Jahren als Einödpensionär auf Capri gönnen könne. Tiberius liebte Capri und verabscheute Rom und packte tatsächlich die Koffer.
    Als er weg war (der Senat empfand das als eine Nichtachtung ohne gleichen), stellte Seianus seine Besuche auf dem Palatin nicht ein, und es dauerte nicht lange, da konnte er es riskieren, eines Tages mit blitzendem Harnisch und schwellenden Gliedern auch in das Schlafzimmer von Livilla zu klirren, die keine Geringere als Tiberius’ Schwiegertochter war. Livilla hatte sich ihr Lebtag in der Lage einer sogenannten Grünen Witwe befunden, was die Sache erklärt, aber nicht entschuldigt.
    Es wird Sie nicht verwundern, daß Tiberius einen Sohn hatte, auch nicht, daß er erst so spät auftaucht, und auch nicht, daß er schon erwachsen und verheiratet war, aber es wird Sie verwundern, wie rasch er starb, als Seianus und Livilla im Bett nach getaner Arbeit den Entschluß faßten, zusammen Herr und Frau Princeps zu werden. Eines Tages schmeckte dem Tiberiussohn der Wein etwas merkwürdig, und ehe er seine Gemahlin auffordern konnte, doch mal zu kosten, war dieselbe bereits in der von Seianus programmierten Lage, ihm die Augen zudrücken zu können.
    Die Nachricht vom Tode seines Sohnes schmetterte Tiberius vollends nieder. Er war ahnungslos und haderte mit allen Göttern. Er wollte nichts mehr hören, nichts mehr wissen und war geradezu dankbar, Seianus, die ehrliche Haut, ihm vorschlug, auf Capri zu bleiben und alle Vollmachten getrost in seine Hände zu legen. Tiberius tat es.
    Und hier, in dieser Stunde, hat er geschichtlich versagt; der pflichtbewußte Mann vergaß zum erstenmal seine Pflicht. Was hätte er gesagt, wenn ein Soldat seinen privaten Kummer über seinen Eid gestellt hätte? Was hätte er gesagt, wenn ein Kommandeur in einem Kommando geblieben wäre, von dem er wußte, daß er es nicht erfüllen würde?
    Tiberius hätte in diesem Augenblick abdanken müssen. Sein einziger Sohn lebte nicht mehr; sein Tod befreite ihn von der Frage, diesen Sohn als Nachfolger betrachten zu dürfen oder nicht — sofern er überhaupt an ihn gedacht hat, was ich nicht glaube. Denn so wenig er Augustus gemocht hat, so sehr war ihm doch dessen politischer Wille stets heilig gewesen, und Augustus hatte nach dem Tod seiner eigenen Enkel die Drusus-Linie als Erben gesehen. Er hatte mit dem Finger auf Drusus gezeigt, und als Drusus bei dem Sturz vom Pferde starb, hatte er zwar Tiberius eingesetzt, aber wieder auf die Drusus-Söhne als nächste Generation gedeutet.
    Warum erlöste sich Tiberius nicht selbst aus der Qual seines Amtes? Er ersehnte es doch?
    Es gibt keine andere Antwort auf diese Frage, als den Namen Seianus. Es war diesem Satan von Borgiakaliber ernst mit seinen Plänen, und in diese tollkühnen Pläne paßte ein Personalwechsel überhaupt nicht. Tiberius’ Nachfolger sollte Seianus heißen.
    Er war es, der den kontaktarmen, uninformierten Tiberius darauf festnagelte, seinen Posten nicht verlassen zu dürfen.
    Mit Generalvollmachten versehen, fast als Stellvertreter, reiste Seianus nach Rom zurück, um nun den zweiten Teil seines Planes zu verwirklichen: die Beseitigung aller persönlichen Gegner.
    Die Prätorianergarde (vor kurzem noch eine kleine Truppe, inzwischen auf

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