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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Nachfolge dran waren? Viele alte Historiker haben versucht, hinter das Dunkel zu kommen und das Rätsel zu lösen. Es ist ihnen nicht gelungen, weil es wahrscheinlich kein Rätsel gibt.
    Es ist so gut wie ausgeschlossen, daß unter den Augen des Augustus Furien am Werke waren. Er war ein guter Menschenkenner und hatte Tausende von Informanten. Ein sehr guter Menschenkenner war auch Maecenas, und er hat nie einen Verdacht geäußert. Eine wachsame, hellhörige Mutter war auch Julia, die sonst so fröhliche, sorglose Witwe. Und Dr. Antonius Musa lebte noch; er konnte Tollkirsche von Blaubeeren sehr gut unterscheiden und hätte niemals einen »Totenschein« ausgestellt (den es damals, wörtlich genommen, noch nicht gab).
    Gruseln ist sehr unterhaltsam, ich weiß. Aber es ist noch zu früh dazu. Gedulden Sie sich noch ein paar Seiten.

    *

    Die Energie des Tiberius stürzte nach dem Aufzucken der Stichflamme ebenso schnell wieder zusammen. Während er nun das Leben eines reinen Eremiten, eines düster vor sich hinbrütenden freiwilligen Verbannten führte, erhitzte sich die Phantasie des Volkes in Vermutungen von blutrünstigen Plänen, ausschweifenden Orgien und Wahnsinnsanfällen des Tiberius. Die Verleumdungen, erst ein ängstlicher Windhauch, dann ein dicker Smog über der ganzen Stadt, fanden begeisterte Ohren, und zwischen Schauern, Furcht und Wollust wuchs die Gestalt des fernen einsamen Princeps zu einem Teufel empor. Sogar Tacitus, eine Generation später, war diesem Smog erlegen. Er ist der Hauptschuldige an dem verzerrten Bild eines unglücklichen Herrschers wider Willen. Die Menschen haben, je blinder sie sind, einen umso größeren Bedarf an Lügen, die sie ihre Netzhauttrübung vergessen lassen.
    Schöne Lügen vereinfachen ihnen die schwer erkennbare Welt und geben ihnen das Gefühl, herrlich scharf zu sehen.
    Tiberius war inzwischen ein Greis von fast achtzig Jahren geworden. Im Frühjahr 37 n. Chr. rang sich der alte Mann dazu durch, nach Rom zurückzukehren. Aber er war der Aufregung nicht mehr gewachsen. Noch auf der Reise machte ein Herzschlag seinem Leben ein Ende.
    Als der Leichnam in Rom eintraf, stand der Pöbel an den Straßen und schrie: »In den Tiber mit ihm!«

    *

    Der Tod des alten Herrschers ist in den Weiten des Reiches nicht einmal als leises Beben wahrgenommen worden. Das Imperium war eine Justiz- und Militärmaschine geworden, die mit der Präzision eines Roboters arbeitete; auch mit seiner Gefühllosigkeit. Die letzte Perfektion hatte Tiberius ihr gegeben. Kein noch so schlechter späterer Kaiser hat darauf Einfluß gehabt. Deshalb ist es tatsächlich so, wie manche Historiker sagen: Von nun an gibt es bis zum Einbruch der fremden Völkerschaften eigentlich keine Geschichte des Römischen Reiches mehr, dessen Pulsschlag so monoton wie das Ticken der Uhr ging; es gibt nur noch eine Geschichte der Kaiser, die sich durch Gewohnheit eine Existenzberechtigung gegen alle Natur geschaffen haben, und die nachwachsen wie die Köpfe der Hydra, sobald man einen abschlägt. Sie bilden nicht mehr das Herz und nicht mehr das Hirn des Reiches. Die ganze Einrichtung ist ein Luxus, den man sich leistet, damit das geheimnisvolle Wort Staat etwas wird, was man anfassen, anstarren und beriechen kann. »Man« ist gleich Rom, nur Rom; alles andere ist Wirtschaftsgebäude. Das Eigenleben der Reichshauptstadt war schon zu Tiberiuszeiten so stark, daß man von den Dingen, die »da draußen« passierten, kaum noch Notiz nahm; einschneidende konnten es nicht sein. Nicht einmal Gefallene pflegten mehr römische Familien zu betreffen.
    So konnte es geschehen, daß anfangs der dreißiger Jahre in der Hauptstadt einer Provinz im Osten ein angeblicher »König« hingerichtet wurde, ohne daß auch nur ein Wort davon nach Rom drang. Hätte Tiberius zufällig davon gehört, so würde er die Hinrichtung untersagt haben, denn der Betreffende, von dessen Art es damals viele gab, wäre ihm garzu unwichtig geschienen. Der Schauplatz war Jerusalem. Bei einer ordentlichen Untersuchung, die es aber angesichts des aufgeputschten Pöbels nicht gab, wäre auch herausgekommen, daß sich der arme Delinquent keineswegs als König bezeichnet hatte, also auch keine Gefahr für die Ordnung darstellte. Jedoch es wurde von den Drahtziehern so hingebogen — wie der Zettel beweist, der den Vorschriften gemäß über dem Hingerichteten angebracht werden und außer dem Namen auch die Anklagebegründung enthalten mußte. Auf dem Zettel

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