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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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fast fünftausend Mann geschwollen) war vom Senat immer als Schutz empfunden worden; jetzt wurde sie zum erstenmal eine Drohung. Doch Seianus hatte nicht die Absicht, sie auszuspielen, um dann vielleicht Tiberius sofort auf dem Hals zu haben. Ihm genügte die Drohung. Der Senat hatte Angst. Sehr gut.
    Seianus hatte sich einen ganz anderen Handlanger wider Willen ausgedacht: den Senat selbst.
    Es gab ein Gesetz, das nicht nur die Verunglimpfung der Götter mit dem Tode bestrafte, sondern auch die geheiligte Gestalt eines Augustus vor Beleidigung schützte. Keine Seele hatte je daran gedacht, es zu praktizieren. Keine Seele hatte allerdings auch bisher Anlaß dazu gegeben. Jetzt gab es Anläße ohne Zahl, denn alles schimpfte auf Tiberius.
    Dieses Gesetz gedachte Seianus zu seiner Waffe und den Senat zum Henker zu machen. Eine Welle von »Majestätsprozessen« sollte über Rom hereinbrechen, wie ein Jahrtausend später die Inquisition. Da alles auf den Anfang ankam, bereitete Seianus den Boden im Senat (der die Gerichtshöfe bildete) sorgfältig vor. Mit großem Erfolg: Die ersten Urteile lauteten auf Tod. Es ging los!
    Sogar die Reihen der Senatoren lichteten sich. Keiner fühlte sich mehr sicher, jeder wollte »Brücken bauen« — die Zahl der gefügigen Kreaturen wuchs. Niemand raffte sich auf; den Senatoren war der Schneid abgekauft und das Rückgrat gebrochen. Das scheint manchmal rasch zu gehen. Eine Schar von Eunuchen.
    Der Großinquisitor war auf dem Wege, allmächtig zu werden. Er konnte an den letzten Schritt denken. Doch es kam nicht dazu. Eine Frau rettete Rom. Unter Lebensgefahr schmuggelte sie hinter dem Rücken der Seianusschergen einen Brief an Tiberius, in dem sie von dem Schreckensregiment des Prätors, den Hunderten von Todesurteilen und der Ermordung des Tiberiussohnes durch Seianus berichtete.
    Tiberius las und war einem Herzschlag nahe, als er die Unterschrift sah: Antonia. (Antonia, seine Schwägerin, Tochter der Octavia, Witwe des Drusus; alle Zweifel an der Wahrheit waren für ihn ausgeschlossen.) Die Schnelligkeit und Verschlagenheit, mit der Tiberius jetzt reagierte, ist erstaunlich. Er ließ Seianus eine Falle stellen, in die der Prätor prompt hineinstolperte, ließ ihn verhaften, am gleichen Tage noch anklagen, am gleichen Tage zum Tode verurteilen und am gleichen Tage hinrichten.
    Jetzt war der Teufel los: Die Gegeninquisition begann. Tiberius ließ alles hinrichten, was den Geruch von Seianus an sich hatte, er war nicht wiederzuerkennen, er war plötzlich ein schwarzer Panther, der den Käfig seiner Umnachtung aufgebrochen hatte und seine ungetreuen Wärter riß.
    Rom war von Angst und Schrecken gepackt. Der Tod war umgegangen, als Seianus ein großer Herr war, und der Tod ging um, nun Seianus nicht mehr lebte; die Menge flehte zu den Göttern, Octavian Augustus möge wiederkommen.
    Eines der letzten Opfer des rächenden Tiberius war Livilla; das Ausmaß der Tragödie wird Ihnen klar werden, wenn ich Ihnen sage, wer die Mutter Livillas war: jene Antonia, die Tiberius den Brief schrieb.
    Da steigt plötzlich der furchtbare Verdacht auf, daß das ganze Haus der Julier/Claudier eine Mördergrube war, in der seit Marcellus sieben Thronanwärter ihr Ende gefunden hatten. Und immer sind es Frauengestalten, Frauen mit undurchdringlichen Zügen, die uns aus dem Dunkel anschauen. Das Blut von drei Familien ist durch sie durcheinandergeschüttelt worden und mit dem Blut auch der Ballast der Vergangenheit. Octavians Schwester Octavia hat die Brut des Antonius hinterlassen, aus der Antonia, die Briefschreiberin, und Livilla, die Mörderin, hervorgingen. Agrippa, der getreue Agrippa, hat mit Julia, der zügellosen Tochter des einst zügellosen Octavian, Vipsania Agrippina gezeugt, die zur Bluttransfusion herumgereicht wurde wie ein willenloses Wesen; sie mußte zwei Claudier bedienen, erst Tiberius, dann den Drusussohn Germanicus. Sie hat, das wissen wir, die Claudier gehaßt, sie hat mit ihrem Haß sich selbst ins Unglück gestürzt (freiwilliger Hungertod nach der Verhaftung durch Tiberius) und zugleich alle ihre Söhne mit Ausnahme des kleinen »Caligula«. Und was ging hinter der Stirn von Livia, der geliebten Livia, vor, die von Octavian verführt und von der Seite ihres Mannes weggerissen worden war und die allein wissen konnte, ob Drusus der geheime Sohn des Augustus war oder nicht? Livia, die aus der Augustus-Linie drei Thronanwärter sterben sah, bis endlich ihre eigenen Söhne in der

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