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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Arbeit; denn ein Amt faßte er als Arbeit auf. Was konnte es sonst sein? Er hat sich nie als »Ich, Claudius, Kaiser und Gott« gefühlt.
    Er war ein guter Amtmann. Er zog neue Straßen durch Italien und Gallien, baute die großen Garnisonen am Rhein zu Städten aus, er ließ den Hafen von Ostia ausbaggern und vergrößern, regulierte den Fuciner See und baute die Claudische Wasserleitung, deren riesige Bögen sich heute noch über die Campania ziehen; er übernahm die Kosten der Kornverteilung, er kümmerte sich um die Rechtsprechung, führte die Erbschaftssteuer ein, gab Erlässe heraus, die den Status der Sklaven erleichterten, er verbot alle Majestätsprozesse, er stand vor der Aufgabe, drei neue Provinzen in Afrika und Thrakien durchzuorganisieren, was er spielend löste, und schließlich stand er vor einer wirklich gefährlichen Aufgabe: das unruhige Belgien durch die Besiegung der ewigen Drahtzieher, der Briten, zum Frieden zu bringen — keine schöne, keine menschlich angenehme Sache, aber notwendig, nachdem damals Caesar den abenteuerlichen Schritt nach England gewagt hatte. Die Rheinarmee, unter einem Befehlshaber, den er besser auswählte als einst Augustus seinen Varus, setzte nach Britannien über und eroberte 43 n. Chr. in einem glücklichen Feldzug den ganzen Süden. Europa war im Sinne des Siegers befriedet.
    So saß und arbeitete er Tag für Tag hinter verschlossenen Türen, der zerbrechliche ältere Herr, »unser Abortus« und einstiger Clown mit dem blutenden Fierzen, für das man sich in einem forschen Staat leider nichts kaufen kann. Und abends trank er noch immer sein Viertelchen.
    Die einzigen, auf die er sich in seiner Unerfahrenheit verließ, waren seine ehemaligen Freunde: ein paar freigelassene Sklaven. Auf zwei von ihnen, Narcissus und Pallas, stützte sich seine ganze Regierungskunst; sie waren Griechen, hochgebildet und selbstlos.
    Diese »Freigelassenen-Wirtschaft« haben ihm schon die antiken Historiker übelgenommen; das Wort »Weiber-und Freigelassenenregiment« erscheint bis in die heutige Zeit. Es ist ganz fehl am Platz. Der weltfremde Kaiser hat im Gegenteil eine Meisterleistung vollbracht, indem er einen Mann wie Narcissus fand und an sich zog, ihn erkannte und ihm vertraute. Hier hat ein Kaiser zum erstenmal der Weltgeschichte einen Reichskanzler vorgeführt — das ist die richtige Bezeichnung. Narcissus war für Claudius das, was Reinald von Dassel für Barbarossa und Marquardt von Annweiler für Heinrieh VI. werden sollten; auch Annweiler war Unfreier am Hofe gewesen. Heinrich VI. hatte unter den Grafen und Baronen niemand seinesgleichen gefunden — Claudius sah unter den Senatoren auch keinen. Lauter Nullen.
    Die Nullen verziehen ihm das nie. Sie haben sogar unter äußerster Konzentration ihres Hodenstolzes einmal einen Aufstand probiert. Narcissus hat das leicht in Ordnung gebracht.
    Er hat noch mehr in Ordnung bringen müssen: auch das Privatleben seines bewunderten Herrn. Und damit kommen wir zum Stichwort Messalina.
    Sie war eine Urenkelin der Augustusschwester Octavia; wie alt, ist nicht sicher. Vielleicht war sie um die Zwanzig, als sie die dritte Frau des Kaisers wurde. Sie soll nicht sonderlich hübsch gewesen sein, auch körperlich nicht das römische Ideal. Auf keinen Fall wird sie (wie sie so oft dargestellt wird) eine Bavaria oder Berolina gewesen sein: Nymphomaninnen findet man eher unter Picassos Büglerinnen.
    Claudius wurde ihr hörig — nicht für ewig, aber lange genug. Ist das schlimm? Ja, es ist schlimm bei einem allmächtigen Kaiser. Aber es ist menschlich. Claudius war zweimal vorher verheiratet gewesen — als Clown, als Krüppel, als Idiot, geduldet und mit geschlossenen Augen erlitten. Nun war er Kaiser; plötzlich war er nicht mehr unästhetisch, er wackelte anscheinend nicht mehr mit dem Kopf und humpelte nicht. Er war ein Mann geworden! Unbeschreibliche Erlösung aus Schande und Scham. Gierig suchte er immer wieder die Bestätigung und war glücklich, in Messalina eine ebenso Gierige zu finden.
    Sie brauchte sich nicht zu überwinden. Aber es lag nicht an ihm, es lag an ihr. Ihr Geschlechtstrieb, körperlich und gedanklich gleichermaßen, muß abnorm gewesen sein. Sie verlor, sobald sie sich sicher und an der Macht wußte, jede Haltung, fieberte unersättlich nach Befriedigung, nahm Knaben, Schauspieler, Rennfahrer, Kutscher, Bauern, Köhler, Schiffer, Neger, Säufer, zu Hause, in Parks, auf Straßen und schließlich in Bordellen, in denen sie

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