Cäsar läßt grüssen
nicht sehr geschadet zu haben, jedenfalls riß sich niemand darum, ihn abzulösen. Der Senat klammerte sich in seiner Angst an diesen Idioten wie an einen Strohhalm, obwohl der Mann, der die Rettung gewesen wäre, schon da war.
Vier Jahre nach Lyon — die Germanen tollten jetzt in der Gegend von Avignon und Nîmes herum — zog derselbe Servilius mit neuen Legionen aus, um Gallien von diesen fürchterlichen Menschen zu säubern. Die Cimbern und Teutonen, überrascht, die Römer schon wieder vor sich zu sehen, die doch zumindest genau so wenig hier zu suchen hatten wie sie selbst, gerieten außer Rand und Band und vernichteten die Legionen (bei Arausio) fast bis auf den letzten Mann. Dieser besagte letzte Mann war kein Obergefreiter, sondern natürlich der Generalissimus persönlich. Als er nach überstürzter Flucht heimkehrte, waren die Römer vom Schreck zu sehr gelähmt, um ihn einen Kopf kürzer zu machen. Sie verbannten ihn bloß. Servilius dankte den Göttern für dieses Geschenk, packte die Koffer und verließ in Windeseile die Stadt, von deren Untergang in den nächsten Tagen er überzeugt war. Ich habe diese Ereignisse in einem beinahe leichtfertigen Ton erzählt. Sie reizen dazu, das entschuldigt es. Aber ich muß die Dinge wieder zurechtrücken: Auf den Schlachtfeldern lagen über fünfzigtausend Tote, fünfzigtausend Väter, Söhne, von beiden Seiten. Wofür? Für nichts. Für ein falsches Klopfen des Herzens. Die Cimbern und Teutonen hatten keine Sekunde die Absicht gehabt, Italien zu überfallen. Sie waren »harmlos« in Anführungsstrichen; keine Schneise von Ruinen bezeichnete ihren Weg. Sie wollten nicht erobern, sie waren Zugvögel, ruhe- und rastlose. Kahlgefressen, ja, das war ihre Route wohl. Aber ihnen zu begegnen, nur einfach zu begegnen, war weniger gefahrvoll als an einem Ostersonnabend friedvoll von München nach Salzburg zu fahren.
Hätten sie die Absicht gehabt, die ihnen die Römer hysterisch zuschrieben, so wäre es jetzt um Rom tatsächlich geschehen gewesen, denn die besten Legionen waren vernichtet. Arausio war fast ein Cannae gewesen.
Die Germanen hatten jedoch andere Pläne, wenn es überhaupt Pläne und nicht Zufälligkeiten waren. Die Stämme trennten sich. Die Cimbern beschlossen, sich die Pyrenäen anzusehen, die Teutonen die Loire. In Belgien trafen sie sich wieder; rätselhaft wie der Drang der Zugvögel. Dann gingen sie ein Stück Wegs gemeinsam südwärts. In Burgund entschlossen sich die Teutonen, wieder Arles, Avignon und Nîmes aufzusuchen, weil’s so schön gewesen war, während die Cimbern auf Einladung der freundlichen Helvetier, die mitmarschierten, in die Alpen einstiegen, der Nase und der Sonne nach. Schließlich hatten sie die Berge hinter sich und machten es sich in einer weiten Ebene bequem, von deren Bewohnern sie erfuhren, daß sie sich Po-Ebene nannte und im Besitz der Römer war. »Teufel, Teufel«, sagten die Cimbern, »da werden wir die Leute gleich wieder auf dem Halse haben.« Mit diesem nicht historischen Ausspruch wollen wir die Cimbern in der Lombardei und die Teutonen in der Landschaft Vincent van Goghs zunächst stehen lassen, denn in Rom hat sich inzwischen — die Wanderung hatte drei Jahre verstreichen lassen — einiges ereignet. Sobald Rom gemerkt hatte, daß es einstweilen außer Gefahr war, avancierte es sofort wieder zur mächtigsten und kühnsten Nation der Welt. Immerhin war der Senat aber weitsichtig genug, die Konsequenzen aus dem militärischen Fiasko zu ziehen. Er zog diese Konsequenzen, die man mit einem einzigen Wort bezeichnen kann: Marius, höchst ungern und verwünschte ihn nicht weniger als die Cimbern und Teutonen, die ihm lediglich das größere von zwei Übeln schienen. Den Senatoren wurde schon schlecht, wenn sie den Namen nur hörten. Das Volk fand Marius herrlich, zumindest zunächst. Beide Ansichten sind unschuldige Übertreibungen.
Gaius Marius war ein Bauernsohn, ein robuster Mann mit sehr schlichter Erziehung und eckigem Benehmen; spröde, eigenbrötlerisch, querköpfig bis zum Nervtöten, jähzornig, mitleidlos und von einem geradezu maßlosen Ehrgeiz. Es war nicht einfach Geltungssucht — er konnte sich unterordnen. Es war der krankhaft gewordene Wunsch seines Lebens, die einfache Herkunft vergessen zu machen und zu den bewunderten und zugleich gehaßten Aristokraten zu gehören. Er litt, weil er war, der er war, gleichgültig, welche Taten er vollbrachte. Und er war permanent tödlich gekränkt, gleichgültig
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