Cäsars Druide
galt nicht für einen Julier. Für einen Cäsar.
Ich muß gestehen, daß mich Cäsars Vorgehen schmerzte und traurig stimmte. Hatte ich nicht alle keltischen Brücken abgebrochen, um sein Druide zu werden? Und jetzt stellte ich fest, daß ich mich für einen Menschen entschieden hatte, der dem Irdischen entrückt war. Ich empfand Abscheu für das, was er getan hatte. Aber manchmal, und ich sage das ungern, empfand ich fast ein bißchen Bewunderung für diesen Julier, der es gewagt hatte, die germanischen Götter herauszufordern. Wie wollte ein einzelner Mensch dem gesamten Universum trotzen?
Eines Abends stand er vor meinem Zelt. Es war einer jener Abende, die man ein Leben lang nicht vergißt. Wanda lag auf dem Bett. Sie sprach seit Tagen nicht mehr. Das Fieber, das plötzlich aufgetreten war, war wieder gewichen. Krixos meldete mir leise den Besuch des Prokonsuls. Er hatte sich angewöhnt zu flüstern, um Wanda nicht zu wecken. Ich weiß nicht, wieso Cäsar Wanda besuchen wollte. Sie war eine Sklavin. Sein Besuch dauerte auch nicht sehr lange. Er trat an ihr Bett und schaute sie an. Dann berührte er ihren Arm. Wanda öffnete die Augen. Sie erschrak. Ich glaube, auch Cäsar muß den Schrecken in ihren Augen bemerkt haben, denn er wünschte leise gute Besserung und trat ins Vorzimmer zurück. Cäsar legte mir den Arm freundschaftlich um die Schulter und bot mir seine Hilfe an.
»Aber ich denke«, lächelte er, »Cäsars Druide wird für Wanda der beste Medicus sein.«
Ich weiß nicht, wie es anderen Menschen ergeht, aber es gibt durchaus Momente, in denen man spürt, daß man einen historischen Augenblick erlebt. Es müssen keine großen Augenblicke sein. Manchmal ist es bloß ein Blick. Zum Beispiel Wandas Augen, als Cäsar vor ihr stand.
Ich lag in jener Nacht noch lange wach. Mit seinem Völkermord hatte Cäsar nicht nur zahlreiche Senatoren in Rom erzürnt, sondern auch viele Freunde verscheucht. Mir gegenüber benahm er sich weiterhin so, als sei nichts geschehen. Als wolle er beweisen, daß nichts geschehen war, was unsere Beziehung beeinträchtigen konnte. Doch in mir waren all diese zwiespältigen Gefühle, diese abrupten und stürmischen Wechsel von Abscheu und Bewunderung. Ich konnte abends hadernd ins Bett gehen und bereuen, für die Legion unterschrieben zu haben, und am andern Morgen den Göttern danken, daß ich Cäsars Druide war. Sicher, ich hatte der römischen Legion einiges zu verdanken. Sie hatte mich aus den Klauen Kretos' befreit. Ich war ihr eigentlich zu großem Dank verpflichtet. Aber die Legion war nicht Cäsar! Und Cäsars schändlicher Völkermord widersprach allen Werten, die für uns Kelten so wichtig sind: Ehre, Ruhm und Tapferkeit. Für List und Trug hatten wir nur tiefste Verachtung übrig. Solche Siege zählen nicht. Sie mögen für Menschen zählen. Aber nicht für die Götter! Und läuft denn nicht unser gesamtes Streben danach, den Göttern zu gefallen? Ich verstand nicht, daß die Götter einen wie Gaius Julius Cäsar weiterhin begünstigten! Götter sind eben nie gerecht!
Mir standen die Götter nicht bei, als ich Wanda mit immer neuem Kräuterwasser zu kurieren versuchte. Es ist eine der ganz großen Tragödien mancher Druiden, daß sie ausgerechnet jene, die sie besonders lieben, nicht heilen können. Ich glaube zwar nicht, daß Wanda wirklich krank war, denn das Fieber war schnell gewichen. Aber irgend etwas nagte an ihr. Als ich in der dritten Nachtwache noch immer keinen Schlaf fand, ließ ich mir von Krixos verdünnten Wein bringen. Irgendwann schlief ich ein und träumte wirre Bilder, die sich stets wiederholten. Irgend etwas riß mich aus dem Schlaf. War es ein Traum, ein Schrei, eine Hand? Ich horchte. Draußen hörte ich Männer aufgeregt miteinander sprechen. Instinktiv glitt meine Hand zu Wanda. Ich griff ins Leere. Ich streckte mich, doch ich fand ihren Körper nicht. Da kam auch schon Krixos mit einer Öllampe in den hinteren Teil des Zeltes. Im flackernden Licht sah ich, daß das Bett neben mir leer war.
»Herr«, stammelte Krixos, »ich glaube, es ist etwas Schreckliches passiert.«
Ich sprang hoch und humpelte aus dem Zelt. Ich kannte mittlerweile jede Unebenheit im Boden. Doch kaum hatte ich die Zeltplane unter dem Vordach zurückgeschlagen, sah ich mich einem Dutzend Prätorianer gegenüber, die mich mit gezückten Gladien in Schach hielten.
»Nicht bewegen, Druide«, drohte ein Offizier.
Jetzt hörte ich plötzlich das Schreien einer Frau: Wanda!
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