Cäsars Druide
Verirrte in der Nacht.
»Boa«, sagte ich leise, »vielleicht kommt eines Tages ein Grieche und fragt nach mir. Dann sag ihm, daß ich zu Vercingetorix reite. Und anschließend nach Massilia. Er soll mir folgen.«
»Wie heißt der Grieche?« fragte Boa.
»Krixos. Er ist mein Sklave, aber sei nicht erstaunt, wenn er sich als Freigelassener oder Händler ausgibt. Er heißt Krixos, hörst du?«
»Ja«, sagte Boa und streichelte unauffällig mein linkes Bein. »Kommst du eines Tages wieder?«
Ihre Augen waren feucht.
»Nein, Boa. Wir werden uns nie mehr sehen.«
Wenig später ritten wir los, Vercingetorix' Heer entgegen. Ich erfuhr, daß die druidischen Oberhäupter Galliens bei ihrem jährlichen Treffen im Wald der Carnuten den heiligen Krieg beschlossen hatten. Und der junge Arvernerkönig Vercingetorix, der seit Monaten für diese Idee warb, sollte diesen Feldzug anführen. Die Druiden kehrten zu ihren Stämmen zurück und befahlen ihren Fürsten, sich bedingungslos mit allen ihren Kriegern und Klienten dem Befehl des Arverners unterzuordnen. Häduer, Arverner, Sequaner, sie sollten plötzlich alle gemeinsam unter einem Befehl kämpfen. Die Druiden machten das Unmögliche wahr. Ein vereintes Gallien unter einem Oberkommando. Cäsars Stunden schienen gezählt.
Ich war eigentlich nicht sehr erstaunt, als ich hörte, daß der ungestüme Vercingetorix mit seinen heißblütigen Anhängern in sein Oppidum zurückgekehrt war, alle seine Feinde erschlagen hatte und sich zum König hatte ausrufen lassen. Geduld war nicht seine Stärke. Aber um Cäsar zu besiegen, würde er Geduld brauchen.
Über die Stärke seines Heeres gab es die wildesten Gerüchte. Viele hielten es für einen großen Vorteil, daß Vercingetorix jahrelang mit seinen Leuten als Reiteroffizier in Cäsars Heer gedient hatte. Mit ihm würde ein Kelte gegen Cäsar antreten, der mit der römischen Kriegsführung bestens vertraut war. Er kannte die Ausrüstung, und was noch wichtiger war: Er kannte den Prokonsul Gaius Julius Cäsar persönlich! Ich war mir sicher, daß wir siegen würden.
Vercingetorix empfing mich mit offenen Armen. Er preßte mich derart fest an sich, daß ich den Halt unter den Füßen verlor. Als er mich wieder absetzte, um mich näher betrachten zu können, fiel ich rückwärts in die Arme der jungen Brüder, die mich die ganze Reise über fürstlich betreut und verwöhnt hatten. Vercingetorix strotzte nur so vor Kraft und Energie. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Ich drückte ihm die goldene Euffigneix-Statue in die Hand: »Du wirst sie jetzt brauchen, Vercingetorix, König der Arverner und Anführer der keltischen Stämme!«
Er ließ die kleine Statue in seiner kräftigen Hand verschwinden. »Du bringst mir Glück, Druide. Komm in mein Zelt. Die carnutischen Kundschafter haben mir angekündigt, daß du Karten mit allen römischen Stützpunkten zeichnen kannst.«
Ja, die Druiden haben durchaus recht, wenn sie behaupten, daß das geschriebene Wort das Gedächtnis verfaulen läßt wie einen wurmstichigen Apfel. Wer hingegen jahrelang Hunderte von Versen auswendig gelernt war, verfügt über ein ausgezeichnet geschultes Gedächtnis. Ich hatte überhaupt keine Mühe, ohne Vorlage eine genaue Karte Galliens anzufertigen. Mit sicherem Strich skizzierte ich die Flüsse und Berge, schraffierte Wälder und zeichnete die römischen Proviantlager und Versorgungsrouten ein.
Bewundernd schaute mir Vercingetorix über die Schulter: »Dieser Julier wird hier verhungern«, murmelte er. »Ich werde ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Jetzt wird sich endlich zeigen, ob er tatsächlich von den Göttern begünstigt ist.«
Vercingetorix zeigte auf die Karte und tippte mit dem Finger auf Narbo, das etwas westlich von Massilia liegt. »Hier ist Cäsar. Er sichert die Grenzen seiner Provinz, und hier oben«, er zeigte auf eine Stelle östlich von Cenabum, »hier oben, bei den Senonen und Lingonen, überwintern seine Legionen. Und wir sind dazwischen. Hat Cäsar nicht immer gepredigt, daß man die gallische Wildsau nicht auf einmal verzehren soll? Ich werde es ihm gleichtun. Eine Legion nach der andern!«
Cäsar ahnte, daß sich in diesem siebten Kriegsjahr etwas Besonderes zusammenbraute. Nahezu alle Stämme Galliens hatten sich mittlerweile dem Oberbefehl des charismatischen Heerführers Vercingetorix unterstellt. Die Häduer zögerten noch. In Eilmärschen zog Cäsar mit frisch ausgehobenen Truppen über die zu dieser Jahreszeit
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