Cäsars Druide
ungern, daß sich vor Schrecken meine Blase entleerte. Während es mir warm die Schenkel hinunterlief, griff ich mit der freien Hand nach dem Opfermesser, das mir der Hilfsdruide gegeben hatte. Doch ich griff daneben. Dieser verfluchte Germane hatte meinen Muskeltonus derart in die Höhe getrieben, daß mir nur noch wilde, grobe Bewegungen gelangen. Der Germane beobachtete mich spöttisch und machte seinen Braunen so richtig scharf, indem er ihn einerseits zurückhielt und ihm gleichzeitig mit gezieltem Schenkeldruck zu verstehen gab, daß er gleich auf mich lospreschen würde. Jetzt hielt ich endlich beide Messer in den Händen und schwankte wie ein Betrunkener, der gleich das Gleichgewicht verlieren wird. Die Gefahr, daß ich mich bei einem erneuten Sturz selber verletzte, war auf jeden Fall größer als die Gefahr, von diesem Germanen getötet zu werden. Der Germane brüllte irgend etwas zu den Baumkronen hinauf und hob das Schwert zum Angriff. Vermutlich hatte er mich soeben einem Gott gewidmet. Ich hätte mich viel lieber mit ihm über die hohe Kunst des Angelns unterhalten, freundlich und kultiviert, doch dieser Koloß von Mann preschte nun auf seinem eher zu klein geratenen Pferd auf mich zu. Ich hoffte, daß das Pferd unter seinem Gewicht zusammenbrach. Doch statt dessen streckte der Gaul laut wiehernd beide Vorderläufe nach vorne. Lucia stand plötzlich vor mir und tat so, als stamme sie von einem hochgezüchteten molossischen Kampfhund ab. Eigentlich atypisch, denn Hunde greifen Pferde stets von hinten an, beißen in die Fesseln oder in den Bauch. Lucia bellte, kläffte, und ihre Lefzen bebten vor Aggressivität und Erregung, während sich alle ihre Rückenhaare steil nach oben richteten wie die kalkgetränkte Dornenfrisur eines richtigen Kelten. Die steif nach vorne gestreckten Vorderbeine des aufgeschreckten Pferdes gruben sich tief in den weichen Boden. Der Germane flog über den Pferdehals hinweg, direkt auf mich zu. Sein Schädel prallte wie ein Katapultgeschoß gegen meine Brust. Ich wurde zu Boden gerissen. Das war das Ende. Mit dem Hinterkopf klatschte ich in eine Pfütze. Für einen Augenblick noch freute ich mich, daß ich nicht auf einem Stein aufgeschlagen war. Ich schnappte verzweifelt nach Luft. Der Kerl, der mich unter sich begraben hatte, wog bestimmt soviel wie zwei Kelten zusammen. Ich versuchte verbissen, die beiden Dolche unter seinem Körper hervorzuziehen, aber es war zwecklos. Ich schuftete und ruderte, aber nichts bewegte sich. Nichts?
In der Tat bewegte sich der Germane nicht mehr. Sein Kopf lag seitlich auf meiner Brust, und er muß dabei für jeden Beobachter einen sehr anhänglichen Eindruck gemacht haben. Ich hörte, wie sich Lucia steigerte und ihr Bellen noch lauter und aggressiver wurde. Das konnte eigentlich nur bedeuten, daß die Gefahr vorüber war. Jetzt hatte sich der Kopf des Germanen bewegt. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er mich an, und seine fettigen, blonden Haarstoppeln rieben sich an meinem Kinn. Die Wangen waren knochig und tief eingefallen. Auch die Germanen waren ein vom Schicksal gebeuteltes Volk, das vom Hunger südwärts getrieben wurde. Gequält öffnete sich sein Mund, und ein Schwall warmen Breis ergoß sich über meinen Hals. Darauf wurden seine Züge weicher, fast versöhnlich. Lautlos rollte er von meinem Körper und blieb im Schlamm auf dem Rücken liegen, der leere Blick auf die Baumkronen gerichtet, wo kein Gott gesessen hatte. In seinem Oberkörper steckten meine beiden Dolche.
Ich kniete vor dem Germanen und starrte ihn an. Noch nie im Leben hatte ich einen derart großen Menschen gesehen. Er hatte auffallend schmale Hüften und einen Brustkasten, der den Muskelpanzer eines jeden römischen Offiziers verspottet hätte. Er trug eine Hose aus Hirschleder, die bis zu den Knien reichte und aus mehreren Stücken zusammengenäht worden war. Der breite Gurt hatte keine Schnalle, sondern einen bronzenen Haken. Im Gurt steckte ein Messer, der Griff ein Stück Geweih. Seine Füße waren nackt. Ich nahm seine Hand und fühlte seinen Puls, so, wie es mir der Druide Santonix beigebracht hatte. Es war eine schöne Hand, groß und stark, wie aus Eisen gegossen. Der kleine Finger fehlte. Ich fühlte keinen Puls. Der Germane war tot. Er war bereits in der Anderswelt. Ich strich ihm versöhnlich die blonde Mähne aus dem Gesicht. Wie ein wildes, freiheitsliebendes Tier lag er da. Der Mund weit offen, als würde er sich über irgend etwas wundern. Die
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