Cäsars Druide
dem Forum verschweigen, daß Cäsar ihm ein persönliches Schreiben hatte zukommen lassen. Es würde so sein, als wären Dutzende von kleinen Cäsars auf dem Forum, die unermüdlich quasselten und sich gegenseitig ausspielten, bis Ansichten und Meinungen entstanden, die Cäsar nützlich waren. Cäsar war auch jenseits der Schlachtfelder ein virtuoser Stratege, der Gefechte ohne offenen Kampf zu gewinnen wußte. Der Kern der Aussage war immer der gleiche:
Rom ist in höchster Gefahr! Die römische Provinz Narbonensis wird von den unberechenbaren und mordlustigen Helvetiern bedroht. Jetzt verwüsten sie gerade das Land der Sequaner und Häduer, um dann die Atlantikküste zu erobern. Aber selbst dort, im Stammesgebiet der Santonen, werden sie gefährlich bleiben, denn sie werden im Osten nicht mehr weit vom Stammesgebiet der Tolosaten sein, die ja bereits zur römischen Provinz gehören. Was sollen wir tun? Können wir es zulassen, daß derart kriegerische Barbaren Nachbarn der römischen Provinz werden? Um die Bedrohung plausibel zu machen, hatte Cäsar die Santonen und Tolosaten gleich zu direkten Nachbarn gemacht. Cäsar hatte bewußt gelogen. Kein Mensch in Rom hatte genaue Kenntnisse von gallischen Stammesgrenzen. Kein Mensch konnte Cäsar widersprechen. Alles was man in Rom über Gallien wußte, wußte man von Cäsar. Es ging nicht um die Wahrheit, es ging darum, eine Bedrohung plausibel zu machen. Seit Menschengedenken haben sich die Seßhaften von den Nichtseßhaften bedroht gefühlt. Und zugegebenermaßen: nicht selten zu Recht.
»Korisios!« Gaius Oppius riß mich aus meinen Gedanken heraus. »Reite sofort zu Dumnorix, und bringe ihm Cäsars Schreiben. Aber gib es ihm persönlich. Du kennst ihn. Warte, bis er dir geantwortet hat. Nimm frische Pferde mit! Cuningunullus wird dich mit ein paar Männern begleiten. Es wird auch noch ein junger Tribun dabeisein«, grinste Gaius Oppius. »Es steht ihm nicht zu, dir zu befehlen, aber Cäsar hat es so gewünscht, um ihm eine Lektion zu erteilen.«
Dann wandte er sich lächelnd an Labienus, der soeben mit besorgter Miene das Zelt betreten hatte: »Titus Labienus, wir sind fündig geworden. Es gibt einen Senatsbeschluß, der kriegerische Handlungen außerhalb der römischen Provinz gutheißt, sofern sie dem Hilferuf eines Verbündeten Folge leisten.«
»Hast du denn in Gallien schon jemanden gefunden, der deiner Hilfe bedarf?«
Gaius Oppius lächelte. »Versprich einem keltischen Fürsten die Königskrone, und er frißt dir aus der Hand.«
Als ich in meinem Zelt war und meine Sachen packte, fühlte ich mich elend. Ein bißchen wie die Maus in der Falle. Ich und mein imaginäres Handelshaus in Massilia! Groß, angesehen und bedeutend hatte ich werden wollen! Ein keltischer Crassus, der Bittsteller königlicher Abstammung empfing! Und Druide, Mittler zwischen Himmel und Erde hatte ich ja auch noch werden wollen! Dabei waren selbst meine Mixturen wortwörtlich zum Kotzen. Alles hatte ich werden wollen, genau wie Cäsar. Und ich schäme mich, es zu sagen, aber ich bewunderte die Schnelligkeit, mit der er Fakten miteinander in Zusammenhang brachte, Strategien entwickelte und in die Tat umsetzte, während seine Umgebung immer noch überlegte und abwägte. Ich glaube, daß die meisten stolz darauf waren, ihm zu dienen. Sogar Kelten. Irgendwie hat doch jeder Mensch das berechtigte Bedürfnis, einmal im Leben auf der Seite des Siegers zu stehen. Und von diesem Lob und Anerkennung zu erhalten!
Ich verabschiedete mich von Wanda und erklärte ihr, daß sie in einigen Tagen mit der zehnten Legion Richtung Nordwesten marschieren würde. Ich hatte mit Aulus Hirtius vereinbart, daß sie mit ihm reiten würde. Er ritt mit dem schweren Gepäck. Das war am besten geschützt. Wir verabschiedeten uns zärtlich. Es wurde ein langer und leidenschaftlicher Abschied. Als ich mich von Wanda löste und mich wieder ankleidete, fragte sie mich, ob sie nicht mitreiten könne. Schließlich würde ich mein linkes Bein brauchen.
V.
Am Tor wartete bereits Cuningunullus. Er hatte einen allobrogischen Krieger bei sich. Etwas abseits wartete der junge, ritterliche Tribun, dem Cäsar eine Lektion erteilen wollte. Er war sichtlich verärgert und schikanierte den Sklaven, der uns mit frischen Reservepferden begleiten würde. Die Leitung hatte ein römischer Offizier. Er hatte den Auftrag, mich zum Oppidum der Häduer zu bringen.
Als wir wenige Stunden später durch die Schluchten des Juras trabten,
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