Cafe con Leche
weiß,
vielleicht sehen wir uns in Santiago wieder.”
„Ich
will heute bis Calzadilla de la Cueza. Dann wünsch ich euch noch alles Gute und
einen buen camino, sagt Fareed, dessen Ziel auch wie unsers ist. Er will, wie
wir, bis Finisterre kommen. Das liegt hundert Kilometer westlich hinter
Santiago de Compostela an der Atlantikküste. Bis dahin wollen wir auch. Ich
hoffe nur, dass unser Geld auch reicht. Denn von Finisterre müssen wir auch
wieder zurück nach Deutschland kommen. Aber jetzt geht es erst einmal nach León.
„Wir
wünschen dir auch einen buen camino”, sagen wir. „Und bestell Nessy viele Grüße
von uns, wenn du es mal sehen solltest”, fügt Chris scherzhaft hinzu.
Dann
packt Fareed seinen Rucksack und geht los. Wir sitzen noch ungefähr eine
viertel Stunde mit Schwester Bernadette zusammen. Ich erzähle ihr, dass ich bei
Ordensschwestern aufgewachsen bin. Als wir uns dann von ihr verabschieden,
drückt sie mich fest an ihre Brust und wir bekommen beide einen Kuss auf die
Wange. Dann packen auch wir unsere Rucksäcke und gehen Richtung Café España, um
dort die Fahrkarten zu kaufen. Mein Rucksack sitzt nicht richtig und ich will
ihn auf meinen Gürtel hieven. Aber, wo ist denn mein Gürtel? Ach, herrje, den
hab ich am Bett hängen gelassen.
„Chris,
wir müssen noch mal zurück! Ich hab den Gürtel vergessen!”
Schwester
Bernadette schaut erstaunt, als sie uns an der Tür stehen sieht.
„Einen
Gürtel? Der ist bei uns nicht abgegeben worden. Gehen Sie einfach hoch und
schauen nach”, sagt sie in ihrem freundlichen Ton zu uns.
Ich
schaue überall, kann jedoch meinen Gürtel nirgends finden. Wie soll ich denn
den schweren Rucksack schleppen, ohne dass die Träger so an den Schultern
zerren? Der Gürtel hat mir gute Dienste geleistet! Aber ich finde ihn nicht.
Schwester Bernadette, die mein Desaster mitbekommt, schaut mich traurig an.
Dann drückt sie mich nochmals. Ich bedanke mich für die Freundlichkeit und wir
gehen wieder Richtung Café España. Total betröppelt setze ich mich in einem
kleinen Park auf eine Bank. Auch wenn an meinem Rucksack ein Bauchgürtel
vorhanden ist. Aber dieser kann meinen Hosengürtel einfach nicht ersetzen. Ich
fühle mich hilflos und Elend. Der Gürtel hat mir einen Teil meiner Last über
die Pyrenäen und weiter bis hier hin abgenommen und nun habe ich ihn verloren.
Mein wichtigstes Utensil! Mir kommen die Tränen. All die ganze Anstrengung der
letzten zwei Wochen bricht heraus. Christine nimmt meine Hand.
„Ach
Mama, sei nicht traurig. Du wirst sicherlich einen Gürtel in León finden.”
„Aber
bestimmt nicht so einen! Der Rucksack hat so gut darauf gesessen. Das war für
mich so eine große Erleichterung. So einen finde ich bestimmt nicht mehr
wieder.”
„Na
komm, Mama! Ich möchte noch in die Bibliothek. Danach können wir ja die
Fahrkarten kaufen”, sagt Chris.
Ich
wische die Tränen ab. Wir beschließen, dass Christine alleine zur Bibliothek
geht, während ich noch einen Café con leche in der Bar Espanà trinke. Ich
möchte jetzt einfach alleine sein. Als ich auf dem Weg zur Bar am Rathaus
vorbei komme, höre ich Klänge, wie von einer Schützenfestkapelle. Leise betrete
ich den Rathauseingang, denn von dort kommt die Musik. In einem Raum sitzt die
ganze Dorfgemeinde. Jeder mit seinem Instrument. Es wird in die Tuba geblasen
und auf die Pauke gehauen, was das Zeug hält. Rum-ta-ta!, wie auf einem
Sauerländer Schützenfest. Draußen knallen Böller so laut, dass die Tauben fast
vor Schreck wie tot von den Dächern fallen. Ich spüre Schützenfestgefühle in
mir. Rum-ta-ta! Rum-ta-ta! Im Festzug mit marschieren, das möchte ich jetzt!
Doch wir haben uns für ein anderes Marschieren entschlossen! Wir pilgern!
Nichts mit Rum-ta-ta! So habe ich einige Zeit an der Saaltür im Rathaus
gestanden und der Schützenfestmusik gelauscht. Als ich in die Bar komme, sitzt
Christine schon an einem Tisch. Ich setze mich zu ihr.
„Mama!
Guck mal da hinten in der Ecke. Da sitzen Ötzi und Ötzina”, flüstert Chris mir
zu.
„Wo?”,
frage ich und drehe mich dezent um.
Da
sitzen sie tatsächlich! Ötzi Jesus und seine Ötzina. Als er mich sieht, begrüßt
er mich mit einem leichten Nicken. War das etwa ein Hauch von Kommunikation?
Ich nicke zurück.
Wolltest
du nicht das Lästern sein lassen, tutet mir mein kleines Stimmchen ins Ohr.
Mein
Gott! Ich darf aber auch gar nichts. Ich darf nicht meckern und ein bisschen
Lästern darf ich auch nicht mehr!
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