Cafe con Leche
nähern, wird das Wetter wieder besser.
Schade, dass wir ausgerechnet dann mit dem Bus fahren, wenn die Landschaft so
schön eben ist. Da hätten wir sicherlich jeden Tag bis an die dreißig Kilometer
laufen können, ohne abends tot umzufallen. Viel lieber wäre ich die steilen
Anstiege mit dem Bus gefahren. Aber im Nachhinein bin ich doch froh und auch
stolz, diese Wegstrecke bis jetzt ohne Blasen, ohne Knieschmerzen oder anderer
Leiden geschafft zu haben. In meinem Rucksack sind genügend Schmerztabletten,
die mir über den Tag helfen sollen, falls sich mein Rücken meldet.
Vor
zehn Jahren hatte ich zwei Bandscheibenvorfälle im Lendenwirbelbereich. Ein
Vorfall musste operiert werden, nachdem mein linkes Bein taub war. Der andere
nicht. Die Narbenbildung sei zu groß, meinte der Chirurg. Dadurch könnten
zusätzliche Schmerzen verursacht werden. Nun kann ich dank der OP wieder gut
laufen, aber meine Schmerzen sind mir nicht genommen worden. An manchen Tagen
komme einfach nicht in den Quark. Dann nehme ich sofort zwei Tabletten, um mich
Stunden später normal bewegen zu können. Ich gehöre halt zu der Art von
Menschen, die ihre liebe Last mit ihrem Kreuz hat. So hat wohl jeder Mensch in
einer gewissen Art und Weise, sein Kreuz zu tragen. Während der Vorbereitungen
habe ich oft gedacht, was, wenn der andere Bandscheibenvorfall sich während des
Pilgerns so mir nichts dir nichts verselbstständigt und in seiner Laune wieder
mein Bein lahmlegt? So schickte ich während unserer Packerei mehrere Stoßgebete
zu Gott, in der Hoffnung, er möge mich verschonen. Kurzerhand: Ich habe eine
Reiseversicherung für den Fall der Fälle für uns abgeschlossen.
Ich
werde aus meinen Gedanken und dem Sitz gerissen. Der Busfahrer tritt voll in
die Bremsen. Aha, wir müssen von der Autobahn runter. Es geht mit Volldampf in
die Kurve, sodass ich gegen Christine gedrückt werde. Ich fühle mich, wie in
einem Berg-und-Tal-Karussell auf einer Kirmes. Sei es im Bus auf dem Weg von
Biarritz nach Bayonne oder die letzten Kilometer bis Burgos. Die Busfahrer
fahren hier mit viel Temperament! Die spanischen Fahrgäste sind da wohl gelassener,
aber meine Finger graben sich so manches Mal in den Vordersitz.
So
fliegen wir León entgegen und erreichen am frühen Nachmittag die Stadt. Wie wir
so unsere Rucksäcke aus dem Kofferraum heraus holen, kommt ein Mann, der mit
seinem Fahrrad nach Santiago de Compostela pilgert, auf uns zu. Mit erhobenem
Zeigefinger, der uns ein klares Nein zu wedelt, beginnt der Mann fürchterlich
mit uns zu schimpfen. „No, no!”, sagt er und zeigt auf den Bus. „No, no!”
Seinen weiteren Wortlaut kann ich nicht verstehen. Dass er uns aber lautstark
maßregelt, verstehe ich schon. Nun bin ich kein schlagfertiger Mensch und so
stehe ich verstört da und lasse die Tiraden über uns ergehen. Dann werde ich
sauer. Es reicht mir aber!
„No,
no!”, sage ich und nun zeige ich mit dem Finger auf sein Fahrrad. „No, no!”
Jetzt wedelt mein Zeigefinger durch die Luft!
„Komm,
Chris! Wir gehen. Das brauchen wir uns nicht anzuhören. Jakobus ist auch nicht
mit dem Fahrrad von Ort zu Ort gefahren.”
Wir
lassen den Mann schimpfend stehen und gehen zur Información tourística, die an
der Kathedrale liegt. Die Sonne scheint wieder und ich ziehe mir die Jacke aus.
Wir kommen ins Stadtzentrum. In der großen Fußgängerzone wimmelt es von
Menschen. Die Dame im Reisebüro kreuzt für uns sämtliche Herbergen von León auf
einem Stadtplan an. Wir entscheiden uns für das Benediktinerkloster und
Christine übernimmt die Navigation. Ich trotte hinter meiner Tochter her. Der
krakelende Kerl vom Busbahnhof will mir nicht aus dem Kopf. Was bildet sich
dieser fahrradfahrende Pharisäer eigentlich ein? Er tut gut daran, die nächste
Ausfahrt zum Himmel nicht zu verpassen! Irgendwie ist meine gute Stimmung
dahin.
Hör
auf, dich zu ärgern !, sagt mein inneres Stimmchen.
Lass dir doch nicht die Laune von so einem verderben. Manche Leute tun halt
Dinge, sei es bewusst oder unbewusst, die, wenn andere sie auch tun, von ihnen
nicht gebilligt werden. Freu dich auf deine Unterkunft!
Ja,
ja! Was wäre ich doch ohne mein Stimmchen, das manchmal ach so fürsorglich sein
kann, um dann aber, ehe ich mich versehe, mir wieder einen rein zu hauen!
Stimmchen hin, Stimmchen her! Wir nähern uns unserer Unterkunft. Das
Benediktinerkloster liegt ein paar Seitengässchen abseits der Fußgängerzone.
Wir betreten durch einen großen Rundbogen den
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