Cafe con Leche
Da kann ich ja direkt wie eine Heilige durchs
Land wandeln! —
Agathe!
Jetzt benimmst du dich aber wirklich kindisch! Mein Stimmchen macht nicht Halt!
Du kannst doch meckern und lästern ist auch keine Todsünde. Aber, wenn du das
nur um dein Wertgefühl aufzupolieren machst und dir vorgaukelst, du seiest
dadurch besser als die anderen, dann ist Meckern und Lästern nicht der richtige
Weg, Selbstbewusstsein zu erlangen! Denk darüber nach! Aber denk wirklich!
Viele
Gedanken sind gedacht, eine tausendstel Sekunde vergangen. Immer noch schaue
ich in Richtung der beiden. Dann nicke ich noch einmal und lächel’ ihnen zu.
„Chris,
ich glaube, es tut uns nicht gut, über andere zu lästern. Du hast doch selber
gesagt, jeder so, wie er kann. Vielleicht hatte sie gestern solche Schmerzen
und konnte ihm gar nicht aufs Bett helfen. Wer weiß! Wir werden es nicht
erfahren.” Dabei belasse ich es. Nach einem Kaffee beschließen wir, die kleine
Kirche, hoch oben auf einem Hügel zu besuchen. Sie ist nach der Schutzpatronin
von Carriòn de los Condes, der heiligen Señora de Belen benannt worden. Von
hier oben haben wir einen fantastischen Panoramablick über die Hügel, die
diesen Ort umgeben. Der Rio Carrión mit seinen kleinen Inseln, schlängelt sich
unter uns. Wir können weit nach Westen schauen. — Weit, weit, irgendwo in der
Ferne, liegt Santiago de Compostela, denke ich. Um die Kirche herum laden
Holztische und Bänke zum Verweilen ein. Wir setzen uns und ich hole mein
Tagebuch heraus, um zu schreiben. Der Wind ist immer noch kühl und ich ziehe
mir die Jacke über. Nach einiger Zeit wird es uns doch zu kalt und so
schlendern wir zurück in den Ort. Ich fühle mich nicht gut. Erst ist der Gürtel
weg und im Internet hat Christine erfahren, dass nun meine älteste Tochter zu
Hause krank im Bett liegt. Natürlich ist Ulrike mit zwanzig Jahren
selbstständig und ich kann mich auch auf sie verlassen, sonst hätte ich ja gar
nicht losgehen können. Aber ich glaube, dass Mamas auf der ganzen Welt Mamas
bleiben, wenn es ihren Kindern nicht gut geht. Es tut mir leid für sie, dass
sie das Bett zurzeit hüten muss. Kurz vor ein Uhr kehren wir zur Bar España
zurück. Mehrere Leute, auch andere Pilger, warten an der Bushaltestelle. Ötzi
Jesus wartet mit seiner Ötzina auch auf den Bus. Er hat das gleiche T-Shirt wie
in der Herberge von Frómista an. Das Loch ist sorgfältig mit einer grellen
Farbe gestopft. Als ich an ihm vorbeigehe, höre ich ein leises buen camino über
seine Lippen kommen. Buen camino, grüße ich lachend zurück. Mir geht es doch
damit besser, meine Lästergedanken wegzuschieben.
Wir
haben beide nach der Busfahrt nicht mehr wieder gesehen. So geht halt jeder
seinen Weg! Mal lautstark palavernd — mal mittelstark, mal etwas sagend, oder
leise, wie Ötzi Jesus und Ötzina. Jeder so, wie er ist und wie er kann!
Wir
kaufen die Fahrkarten und zahlen neun Euro pro Person. Bus fahren ist in
Spanien wesentlich billiger als bei uns. Die Türen schließen und los geht es
nach León. Musik erschallt aus den Lautsprechern und dann geht es über die
Autobahn durch das flache Land. Die Gegend ist teilweise bewaldet und die
Häuser sehen aus wie im Münsterland. Leider ist unsere Kamera nicht auf dem
neusten, technischen Stand, sodass wir schnell vorbeiziehende Motive nicht
festhalten können. Die Bilder sind alle verzerrt. El sol hat heute keine Lust
zu scheinen. Der Himmel sieht eher dunkel aus und als wir Sahagún erreichen,
regnet es wie aus vollen Kübeln.
„Die
armen Pilger, die jetzt hier unterwegs sind und durch diesen Platzregen laufen
müssen. Die werden bis auf die Haut nass. Vielleicht ist die Busfahrt heute
doch das Richtige für uns”, sage ich zu Chris.
Sie
nickt und meint: „Mama, guck mal zum Mittelgang! Das Busdach ist wohl undicht!”
Alles
an und in dem Bus ist sehr modern und sauber. Jeder Sitz ist einzeln
höhenverstellbar. Sogar die Rückenlehne lässt sich verstellen. Aber jetzt
platschen dicke Wassertropfen von der Busdecke herunter in den Mittelgang. Mein
Gott, was bin ich froh, nicht durch dieses Unwetter laufen zu müssen. Obwohl,
Regen gehört ja auch zum Pilgern. Bis jetzt haben wir wirklich viel Glück mit
dem Wetter gehabt. So richtig ungemütlich war es nur in den Pyrenäen. Als mich
auf leisen Sohlen Schuldgefühle wegen unserer Busfahrt beschleichen wollen,
verdränge ich sie ganz schnell. Alles ist schon in Ordnung, denke ich mir und
mit jedem Kilometer, den wir uns Leon
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