Cafe con Leche
nebenan sein Nachtlager
gehabt. So sitzen wir gemeinsam bei einer Tasse Kaffee. Schwester Bernadette,
die gerade aus der Kirche kommt, begrüßt uns.
„Na
Mutter und Tochter, wo geht’s denn heute hin?”
„Wir
haben uns kurzfristig entschlossen, mit dem Bus die neunzig Kilometer bis nach León
zu fahren”, sage ich ihr. „Dann haben wir die Hälfte unseres Pilgerweges
erreicht. Gestern Abend haben wir einen Kassensturz gemacht. Wir müssen schon
gut mit dem Geld haushalten. Wenn wir den Bus nach Leon nehmen, sparen wir das
Geld für fünf Übernachtungen, nebst der Tagesverpflegung.”
„Viele
Leute gehen nur Teilabschnitte des Caminos”, erwidert Schwester Bernadette, die
sich nun zu uns an den Tisch setzt und auch eine Tasse Kaffee mit uns trinkt.
„Sie haben meistens nicht so viel Zeit. Andere wiederum schaffen es nicht bis
Santiago de Compostela, weil das Geld nicht mehr reicht. An die achthundert
Kilometer zu laufen, ist schon eine gewaltige Strecke und da muss das Geld
schon gut eingeteilt werden!”
Wie
früher, denke ich, während Schwester Bernadette erzählt. So vertraut!
Ich
bin bei Ordensschwestern am Niederrhein in einem Ordenshaus groß geworden. Dort
verbrachte ich mit vielen anderen Kindern meine Kindheit. Ein schöner Ort,
inmitten von Wald und Feldern. Es gab nur ein paar Bauernhöfe um uns herum. Die
Stadt lag vier Kilometer entfernt, und wenn sich die Bauern mal ein Bier
trinken wollten, mussten sie ins nächste Dorf gehen. In dieser kleinen
Bauernschaft hatten wir sogar einen riesengroßen Spielplatz mit einem
Fußballfeld. Nachmittags, nach den Schularbeiten, die von der Ordensschwester
mit Argusaugen bewacht wurden, habe ich mich immer draußen mit den anderen
Kindern getroffen. Entweder wurde Fußball gespielt, oder wer konnte am höchsten
schaukeln? Verstecken, Fahrrad fahren, Schnitzeljagden, Picknick im Wald. Bei
uns im Ort war immer was los! Ich wollte immer so toll wie die Jungen sein und
oft bin ich dann auch wie diese in die Bäume bis hoch in die Gipfel geklettert.
Oben dann übermannte mich beim Blick in die Tiefe die Angst, nicht wieder
herunter zu kommen. Meine Freundin Traute, die immer mit mir zum Spielen
draußen war, musste oft seelischen Beistand leisten. So habe ich meine Jugend
als Wildfang verbracht. — Nach meinem Hauptschulabschluss besuchte ich ein
Internat im Münsterland, das wiederum von Ordensschwestern geleitet wurde, und
machte dort die mittlere Reife. Meinen staatlichen Abschluss als Erzieherin
machte ich in Xanten an der Fachschule für Sozialpädagogik. Auch diese Schule
war unter klösterlicher Hand und wurde von Klosterfrauen geleitet. So bin ich
wohl durch und durch unter klösterlicher Hand erzogen und groß geworden. Ich
will damit nicht sagen, dass ich nun jemand bin, der die Türen zum
Kirchenportal einrennt. Ich sehe mich eher als konservativen Menschen, der
Werte für das Wohl einer Gesellschaft sehr wichtig hält. Das ich nun Pilger,
hat etwas mit dem jetzigen Verhältnis zu meiner Tochter zu tun. Mich von ihr,
im strengen mütterlichen Sinne gesehen, zu lösen. Ihr die Möglichkeit geben,
auf diesem Wege mir, der Mutter, ebenbürtig zu werden. Eine freundschaftlichere
Ebene zueinander zu finden, das ist mir wichtig! Wir haben beide hier das
gleiche Ziel und wir sehen einander in unserer Anstrengung und auch oft in
ihrer Überwindung. Das spornt an. Jeder von uns schafft tagtäglich das Gleiche!
Egal wie groß die körperliche Anstrengung für jeden Einzelnen von uns ist. All
das schweißt zusammen! Selbst wenn Christine das momentan nicht so wahrnimmt
wie ich, weil sie sich sicherlich nicht so die Gedanken darüber macht. Für sie
ist es ein kulturelles Ereignis und so soll es auch sein. Damit kann ich gut
leben. Die Gedanken, wie ich sie mir jetzt mache, kommen ihr vielleicht später.
— All das kommt mir in den Sinn, während Christine sich mit Schwester
Bernadette unterhält.
„Sie
haben noch Zeit”, höre ich Schwester Bernadette sagen. „Da können Sie sich den
Ort noch anschauen. Der Bus fährt erst um ein Uhr vom Café España los. Die
Fahrkarten müssen Sie dann im Café kaufen.”
Fareed,
der während der Unterhaltung die ganze Zeit ein stiller Zuhörer war, meint:
„Das ist aber schade, dass ihr mit dem Bus fahrt. Es war gestern so ein schöner
Tag mit euch.”
„Ja”,
sagt Chris. „Es geht nicht anders. Wir würden auch lieber laufen, zumal die
Strecke bis León auch ziemlich eben ist. Aber es geht nicht. Wer
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