Café der Nacht (German Edition)
*
„Das ist also einmal sein Zimmer gewesen?“ Maxim sah sich mit erhobenen Augenbrauen um.
Sidonie nickte. „Ist das nicht unverkennbar?“
„Oh ja. Ganz eindeutig.“ Sie standen in einem großen, vollkommen leeren Raum. Nichts außer Wänden und spiegelnd glattem Parkettboden. Immerhin war der Ausblick nett, auf den Garten hinaus. Maxim ging zum Fenster und warf einen Blick hinunter. „Da ist er rausgeklettert?“, fragte er entgeistert.
Sidonie, die ihm gefolgt war, nickte stolz. „Einmal hat er sich ein Seil aus den Vorhängen gemacht. Die waren zweihundert Jahre alt. Ich war fünf und fand, er wäre der coolste Typ auf der Welt.“
„Ich nehme an, deine Eltern haben diese Ansicht nicht unbedingt geteilt.“
„Vater hat danach die Fenster vergittern lassen.“
„Hat es was genützt?“
„Nein, eigentlich nicht.“ Sidonies braune Augen lachten ihn lustig an. „Maxim, du wirst mich zwar sicher später dafür hassen, aber ich finde, du solltest zum essen bleiben.“
„Was denn, bist du eine so schlechte Köchin?“
„Das nicht. Aber wir essen unten, alle zusammen.“
„Verstehe. Da kennen wir uns kaum eine Stunde, und schon stellst du mich deinen Eltern vor?“
„Meine Mutter wird dich lieben. Ich glaube, sie hat eine Schwäche für gutaussehende, schwule Männer. Zumindest versucht sie mich dauernd mit welchen zu verkuppeln.“
Maxim bot ihr galant seinen Arm an. „Dann wollen wir ihr die Gelegenheit nicht vorenthalten!“
* * *
Erasmus Graf von Rothenau war mit Ende sechzig noch eine beeindruckende Erscheinung. Er hielt sich so aufrecht, dass Maxim bei seinem Anblick unwillkürlich die eigene Haltung korrigierte. Man konnte in seinen Gesichtszügen erken nen, dass er einst ein markanter , schneidiger junger Mann gewesen war, dem vermutlich die Frauen zu Füßen gelegen hatten. Für einen Moment konnte Maxim sich gut vorstellen, wie Monroe in diesem Alter ausgesehen hätte. Dem Grafen folgte eine zierliche Dame in dunklem Kostüm ins Zimmer, das graue Haar zu einer eleganten Frisur hochgesteckt. Sidonie stellte Maxim als einen Freund vor, der zufällig in der Gegend gewesen war. Sie erwähnte Monroe mit keinem Wort und Maxim, der annahm, dass sie gute Gründe dafür hatte, tat es ebenfalls nicht. Marianna von Rothenau begrüßte ihn mit zurückhaltender Freundlichkeit. In den Augen des Grafen lag eine fast herablassende Distanziertheit, als er seine Hand schüttelte. „Nun, seien Sie uns willkommen. Sidonie bringt uns nicht oft Gäste ins Haus.“
„Woran mag das wohl liegen?“, murmelte Sidonie mit leichtem Augenrollen, zog den Stuhl zurück und setzte sich an den gedeckten Mittagstisch.
Maxim wurde ihr gegenüber zur Rechten des Grafen, neben der Gräfin platziert. Das Speisezimmer war in weiß und lindgrün gehalten, elegant und, wie Maxim mit Kennerblick sah, mit aufwändig restaurierten Einzelstücken ausgestattet. Dela hatte nicht gelogen. Die Familie hatte wirklich Geld, und das offensichtlich nicht zu knapp. Das Mittagessen bestand aus drei Gängen und wurde von einer Hausangestellten serviert. Der Graf und die Gräfin wussten, wie man unverfängliche Konversation machte. Maxim musste sich regelrecht zwingen, nicht nach Monroe zu fragen, denn die Verlockung war groß. Er hätte gerne gesehen, wie seine Erlaucht darauf reagiert hätte. Doch Sidonie warf ihm hin und wieder einen warnenden Blick zu, als wüsste sie, was in ihm vorging.
Nach dem Mittagessen lud der Graf Maxim allein ein, mit ihm zu kommen. Vielmehr war es eine Aufforderung, der man sich kaum zu widersetzen gewagt hätte. Sidonie gab ihm hinter dem Rücken ihres Vaters ein aufmunterndes Daumen-hoch-Zeichen und sah ihm nicht ohne Sorge nach. Das fand Maxim wenig beruhigend und fragte sich, was nun kommen mochte. Der Graf führte ihn den Gang hinunter in einen kleinen Salon, in dem ein Kaminfeuer prasselte. Es roch rauchig nach Holzglut. Der Raum war mit dunklem Palisanderholz vertäfelt, die Einrichtung a ntik und erlesen. Erasmus von Rothenau schloss die Zimmertür fest hinter sich und kam ohne Umschweife zur Sache. Er hatte einen strengen Zug um den Mund.
„Ich weiß natürlich, wer Sie sind. Ich nehme stark an, dass Sie nicht meiner Tochter, sondern meines Sohnes wegen hier sind. Es gibt Weißgott genug schändliche Publikationen über ihn, und Ihr Name bleibt darin nie unerwähnt.“
Maxim machte sich nicht die Mühe, erstaunt auszusehen. „Ich hätte nicht vermutet, dass Sie sich mit
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