Café der Nacht (German Edition)
offenen Friedhofstür stand eine junge Frau, die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen, einen frischen Strauß Rosen in der Hand. Ein hübsches Augenpaar betrachtete ihn mit einer Mischung aus Empörung und Erstaunen.
„Es tut mir leid. Bitte entschuldigen Sie vielmals mein Eindringen.“
„Wer sind Sie? Und was tun Sie an diesem Grab?“
„Ich wollte es mir nur ansehen. Mein Name ist Maxim Meinig. Ich war ein Freund von Augustin von Rothenau.“
Die Fremde starrte ihn für einen langen Moment entgeistert an. „Da soll mich doch ...“, entfuhr es ihr dann. Sie trat näher, zog ihren Baumwollhandschuh aus und streckte ihm die Hand hin. „Sidonie von Rothenau.“ Maxim tat es ihr gleich und schüttelte ihre Hand. Sie hatte einen unerwartet festen Händedruck. „Ich bin Augustins Halbschwester.“
„Meine Güte.“ Maxim betrachtete sie verblüfft. „Ich wusste nicht, dass er eine Schwester hatte.“
„Aber ich weiß von Ihnen.“
„Das tun Sie?“
„Und das sagt mir, dass Sie wissen, wer er war.“
„Ich bin verwirrt“, gestand Maxim mit leichtem Stirnrunzeln.
„Keine Sorge. Ich kläre Sie auf.“ Ohne weitere Umschweife hakte sich Sidonie einfach bei ihm unter und führte ihn aus dem Friedhof. „Sie kommen jetzt mit mir, und dann reden wir.“
* * *
Unter der Wollmütze kam langes blondes Haar zum Vorschein. Sidonie von Rothenau war zwar hübsch, allerdings im Vergleich zu ihrem Halbbruder fast unscheinbar. Doch sie hatte lustige braune Augen, in denen der Schalk blitzte. Sie musste gut zehn Jahre jünger sein, als Monroe. „Neun“, korrigierte sie Maxims Vermutung, als sie ihn flotten Schrittes durch lange, weißgetünchte Schlossgänge führte. Er tat sich schwer, mit ihr Schritt zu halten.
Es hingen nur wenige Gemälde an den Wänden, doch die waren mehrere Hundert Jahre alt. Dazwischen einige sicher sehr wertvolle Wandteppiche und tatsächlich auch eine obligatorische Ritterrüstung, die allerdings etwas mitgenommen wirkte. Sidonie führte ihn durchs hallende Treppenhaus, hinauf bis unters Dach, wo die ausgetretenen Steinstufen von einer knarrenden Holzstiege abgelöst wurden. Dort schloss sie eine ganz gewöhnliche Wohnungstür auf. Maxim folgte ihr nicht ohne Neugier hinein.
„Früher waren das Gesindekammern. Jetzt ist es mein Reich.“ Sidonie sah sich zufrieden um und warf ihren Schlüssel in eine Schale auf einer Kommode, bevor sie sich ihrer Winterjacke entledigte. Maxim fand sich erstaunt in einer wenig gräflichen Dachwohnung wieder, in der zwar kein Luxus, aber umso mehr Gemütlichkeit herrschte.
Er lächelte, als er Sidonie seinen Mantel reichte. „Schön haben Sie’s hier.“
„Musste ich mir hart erkämpfen. Wenn es nach meinem Vater ginge, würde ich immer noch unten in meinem alten Mädchenzimmer hausen und mit Puppen spielen.“ Sie winkte Maxim, ihr in ihr Wohnzimmer zu folgen, ein schmaler, langer Raum mit alten Bodendielen. „Einen Kaffee?“
„Danke, das wäre wunderbar.“
„Schauen Sie sich ruhig um, bin gleich zurück.“
Maxim trat an eine Dachgaube und blickte hinaus. Die Aussicht war phänomenal. Man konnte einen Teil des Schlosshofs unter sich sehen, den gegenüberliegenden Flügel und dahinter weit den Wald, der sich in der Ferne nur noch bläulich vom bleichen Horizont abhob. In der Ecke stand ein Schreibtisch, der fast gänzlich unter dem wilden Durcheinander der darauf gestapelten Papiere verschwand. Ohne spionieren zu wollen, entdeckte Maxim obenauf gleich mehrere Mappen und Prospekte namhafter Schauspielschulen in ganz Deutschland. Er wies darauf, als Sidonie wieder eintrat, zwei Becher mit frisch aufgebrühtem Kaffee in der Hand. „Sie spielen auch?“
Sie verzog das Gesicht und wirkte plötzlich sehr verlegen. „Ich versuche es. Ich meine, ich würde es gerne. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich ... Also sein Talent habe ich nicht.“
Maxim lächelte, als sie sich gemeinsam auf der niedrigen Couch niederließen.
Sidonie sah ihn mit Verschwörerblick an. „Sollten Ihnen je meine Eltern begegnen – kein Wort darüber.“
„Alles klar. Ihr Geheimnis ist bei mir sicher.“
Sie sah ihn nachdenklich an und nickte. „Das glaube ich Ihnen.“
„Sidonie, entschuldigen Sie die Frage, aber wie kommt es, dass Sie von mir wissen, wie Sie vorhin sagten?“
„Dean“, antwortete sie knapp und betrachtete ihn verschmitzt über den Rand ihres Bechers hinweg, den sie mit beiden Händen hielt. „Er hat oft von Ihnen
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