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Café der Nacht (German Edition)

Café der Nacht (German Edition)

Titel: Café der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Julieva
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Kopf war klar, wie lange nicht. Die Idylle um ihn herum schien alle Wehmut von ihm zu nehmen. Im Jetzt leben, vielleicht war das kein so schlechter Rat. Er meinte zwar, das bereits viele Jahre getan zu haben, doch möglicherweise hatte er sich selbst getäuscht. Er hatte sich in seiner Arbeit vergraben, war nie stehen geblieben, um zu schauen, zu verarbeiten. Es war an der Zeit gewesen, das zu tun.
    Durch verschneite Bäume hindurch sah er bereits das Schlossgebäude hervorblitzen. Der steinige Boden war uneben unter seinen langsamen Schritten. Als sich die Bäume teilten und sich vor ihm der Komplex auftat, hielt er staunend inne. Er ließ kurz auf sich wirken, was er vor sich sah. Das Schloss war weit größer, als er erwartet hatte, ein gebieterischer Bau, von Wasser umgeben. Der Blick fiel genau auf die schwere Holzbrücke, dem Zugang zum Schlosshof. Im Wassergraben trieben Eisschollen. Das Schloss war ein hoher, fast strenger Bau aus rotem Buntsandstein, nur wenig aufgelockert durch die offensichtlich später angebrachten Renaissanceverzierungen. Aus dieser Zeit mussten auch der Schlossturm und das Torportal stammen, über dem das Familienwappen prangte. Maxim hatte im Faltblatt, das im Hotel auslag, gelesen, dass die gräfliche Familie noch heute den Westflügel des Hauses bewohnte, während der Nordflügel teilweise zu besichtigen war.
    Gemächlich näherte er sich und überquerte die Planken der wuchtigen Brücke. Der Schlosshof war malerisch, viel lieblicher, als das Äußere des Schlosses es versprach. In einem kleinen Holzkabuff direkt neben dem Zugang kramte mit dem Rücken zu ihm eine Frau in Schachteln herum. Der Kleidung zufolge eine Hausfrau, die sich hier ein paar Groschen verdiente. Maxim sprach sie an und sie wandte sich kurz um. „Führungen erst ab elf.“
    „Kann man das Schloss auch ohne Führung besichtigen?“
    „Nein“, erwiderte die Frau knapp, drehte sich wieder um und fuhr fort, herumzukramen.
    Maxim warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stellte fest, dass er noch ganze zwanzig Minuten zu warten hatte. Er beschloss, dies sei ein guter Zeitpunkt, um sich unauffällig das Gelände anzusehen.
     
    * * *
     
    Wie Dela gesagt hatte, war der Zugang zum Privatgrund hinter dem Schloss nicht abgeschlossen. Maxim fühlte sich trotzdem ein wenig schlecht, als er die Pforte öffnete und eintrat. Er sah sich mehrmals unsicher um, ob ihn wirklich niemand bemerkte, bevor er losging. Ein kleiner Pfad führte an verschneiten Gewächshäusern und einem romantischen Garten vorbei, wieder in den Wald hinein. Keine Menschenseele weit und breit, nur das Rascheln von aufflatternden Vögeln im Gebüsch. Als Maxim an einer sanften Senke ankam, entdeckte er den kleinen Friedhof. Dieser war von einem niedrigen, verrostenden Eisenzaun umschlossen, der fast ebenso alt aussah wie die moosbewachsenen, schiefen Grabsteine. Das Türchen quietschte erbärmlich und schloss schlecht, also ließ Maxim es hinter sich offen stehen.
    Das übliche Friedhofsgefühl stellte sich unversehens bei ihm ein. Leise Ehrfurcht, etwas Wehmut und etwas Meditatives. Friedhöfe hatten für Maxim etwas Heiliges an sich, Oasen ohne Zeit mitten in der Welt. Dieser hier schien in Vergessenheit geraten zu sein. Er sah nicht gerade so aus, wie man sich den Familienfriedhof eines Grafengeschlechts vorstellte. Die verschneiten Grabsteine waren von Ranken überwuchert, die Inschriften teilweise so verwittert, dass sie kaum noch zu entziffern waren. Offenbar war hier seit gut hundert Jahren niemand mehr zur letzten Ruhe gebettet worden. Während Maxim die Gräber abschritt, begann er sich zu fragen, ob er am falschen Ort war und es am Ende auf dem Gelände noch einen anderen Friedhof gab. Dann entdeckte er das Grab. Hätte kein Schnee gelegen, wäre ihm der schlichte, neuere Stein sicher gleich ins Auge gesprungen. Maxim ging davor in die Hocke und wischte mit der lederbehandschuhten Hand den Schnee weg, der die Inschrift verdeckte. Dort standen „Augustin von Rothenau“ und Monroes Geburts- und Sterbedaten. Seltsam ergriffen starrte Maxim auf den Grabstein, mit dem Gefühl, dass sich hier das letzte Puzzlestück zusammenfügte. Als er auf das Grab hinuntersah, bemerkte er, halb von Schnee bedeckt, Rosen, die jemand hier niedergelegt hatte. Behutsam legte er sie frei. Ob sie von Dela waren? Kam überhaupt jemals jemand von der Familie hierher?
    „Was machen Sie hier?“
    Maxim fuhr auf und drehte sich erschreckt herum. Ihm gegenüber in der

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