Café der Nacht (German Edition)
dem Stehgreif bestritten. Das machte jede der wöchentlichen Donnerstagabendvorstellungen einzigartig und nie wiederholbar. Merlyn beschloss, dass Maxim sie unbedingt sehen müsste und nahm ihn zu einer Vorstellung mit.
Es war Maxims erster Besuch in einem Kabarett. Ihm gefiel das Scharren der Stühle auf dem nicht ganz ebenen Steinfußboden, während die Leute vor Vorstellungsbeginn an den kleinen Tischchen nach der optimalen Sitzposition ruckelten. Die rosagewetzten Sitzpolster und der granatapfelrote Vorhang waren die einzigen Farbakzente in dem grauen, etwa hundert Leute fassenden Vorstellungsraum. Die Zuschauer kamen oft eine gute Stunde früher, um einen guten Tisch zu ergattern. Manche brachten sich Bücher mit und vertrieben sich still lesend die Wartezeit. Andere tauchten in munteren Rudeln auf, deren Gelächter und Geplapper einen konstanten Hintergrundgeräuschteppich webte. Im Vorraum wurden an einer fleckigen Theke Getränke und Brezeln verkauft. Eine leise, freudige Aufregung lag in der Luft. Dann wurde das Licht gedämpft, es wurde dunkel. Das Stimmengemurmel endete in abrupter Stille. Als alles in erwartungsvoller Anspannung verharrte, teilte sich langsam der schwere Vorhang. Und schon stürmten die sechs Revoschizionäre unter tosendem Applaus die kleine Kabarettbühne. Sofort ging es rund.
Jeweils drei Revoschizionäre befanden sich auf der Bühne, die anderen drei hielten sich außerhalb des Blickfeldes bereit. Im fliegenden Wechsel gaben sie sich die Mikrophone in die Hand, kam einer, ging ein anderer raus, was dem Ganzen rasante Dynamik verlieh. Knapp zwei Minuten dauerte es, und Maxim wusste, warum die Truppe so gefeiert wurde. Er hatte noch nie im Leben so gelacht, wie an diesem Abend. Er fühlte plötzlich eine ihm bisher unbekannte Leichtigkeit in sich. So respektlos brillant drehte die verrückte Bande die aktuellen Ereignisse in Stadt und Land, Gesellschaft und Politik durch die Mangel, dass einem davon schwindelig werden konnte. Niemand war vor ihnen sicher, heilig war ihnen gar nichts. Sie waren alle sechs gut auf individuelle Art, und der Spaß, den sie an der Sache hatten, übertrug sich. Doch Monroe zum ersten Mal auf der Bühne zu erleben, war spektakulär.
Monroe zog die Blicke auf sich, wie selbstverständlich. Das Publikum jubelte jedes Mal vergnügt auf, wenn er herauskam. Mit seinen rotzfrechen, trockenen Kommentaren verursachte er Seitenstechen und Tränen, die über glühende Wangen kullerten. Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die professionell ihre Show abzogen, wirkte er vollkommen gelöst und natürlich. Als gäbe es keinen Ort der Welt, auf dem er sich so zuhause fühlte wie auf diesen Brettern. Er sah bildschön aus im Scheinwerferlicht, fast unwirklich, als sei er mehr Traum als Realität. Endlich einmal hatte Maxim Gelegenheit, ihn unverhohlen anzusehen, seine Augen über seinen attraktiven, drahtigen Körper wandern zu lassen ohne jede Scheu. Er hätte ihm bis in alle Ewigkeit zuhören, zuschauen mögen. Maxim saß gebannt und atemlos neben Merlyn in der Dunkelheit des kleinen Theaters und war sich vollkommen im Klaren darüber, dass er da ein Ausnahmetalent erlebte, das viel zu groß war für diesen bescheidenen Rahmen.
* * *
Showmenschen sind naturgemäß Selbstdarsteller. Maxim hatte schnell gelernt, dass bei dem lustigen Theatervolk, das die Kneipe frequentierte, nicht alles Sein, und vieles Schein war. Hinter so manchem Rücken wurde gelästert, dass einem die Ohren klangen. Nichts liebte das Künstlervölkchen mehr als Klatsch und Tratsch. Wer glaubte, seine pikanten Geheimnisse würden unentdeckt bleiben, dem erging es wie dem Schauspielerehepaar Vesta und Tonio, die den jeweils anderen für treu hielten, und beide Affären mit Kollegen hatten. Jeder hier wusste darüber Bescheid, nur zum allgemeinen Amüsement die beiden Hauptdarsteller dieser Miniaturseifenoper nicht.
Jedes Talent hatte seine Neider und jeder eine Schwäche, ein Geheimnis, nach dessen Aufdeckung ein anderer gierig lechzte. Niemand wurde so oft Zielscheibe der Lästermäuler wie Monroes Clique. Sie waren das feurige Herz des Cafés der Nacht, die unbestrittene Alpha-Gruppe. Tauchten sie an einem Abend nicht auf, war geringerer Umsatz die Folge. Die Leute gingen früher nach Hause, weil ihnen der Pfeffer fehlte.
Monroe scherte sich nicht darum, ob man ihn mochte oder nicht. Maxim war fasziniert von ihm, von seiner wilden Art, von dem Hauch von Freiheit, der ihn umwehte. Doch er
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