Café Eden - Roman mit Rezepten
geglaubt, dass ich einmal Morphium nehmen muss.«
Eden stand auf und wandte sich langsam zur Tür. Dort drehte sie sich noch einmal um und spähte in das dämmerige Zimmer. »Lebwohl, Afton.«
»Lebwohl, Eden.«
»Lebwohl, Afton«, wiederholte sie.
»Sagst du ihnen bitte, bevor du gehst, dass sie die Musik lauter stellen sollen?«
Es war gar keine Musik zu hören, nur der Wind, der in den Blättern der Bäume vor dem Haus rauschte, aber Eden antwortete, sie wolle Bescheid sagen.
»Lebwohl, geliebtes Kind.« Aftons Stimme hatte sich verändert. Sie klang nicht mehr rasselnd oder belegt, sondern jung und frisch, wie damals, als sie mit dem Baby Connie auf dem Arm Eden von der Veranda aus nachgewunken hatte. Mach winke, winke. Auf Wiedersehen, Eden.
EPILOG
Skagit County, Washington,
Juli 1976
In der windstillen Hitze hingen die Fahnen traurig am Fahnenmast herunter. Liza Ruth March drückte das Clipboard an ihre durchgeschwitzte Baumwollbluse und schloss die Augen. Sie hatte die GröÃe und die Figur der Douglass-Frauen, hatte jedoch von ihrem Vater die gerade, schmale Nase und die dunklen Schatten unter den Augen geerbt. Auf Wunsch ihrer Mutter trug sie ihre dicken Haare während der Arbeit zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie stand in der Tür, direkt unter dem Café-Schild, um einen Moment lang frische Luft zu schnappen. Wenigstens war der Hochbetrieb in der Mittagspause jetzt vorüber. Es war der reinste Höllentag gewesen.
Einer der Kühlschränke hatte den Geist aufgegeben, und so musste alles, was er enthielt, in die drei anderen gestopft werden. Dann hatte sich vor einer Stunde der Souschef die Handfläche aufgeschlitzt, und Liza hatte ihn zum Arzt fahren müssen. Allerdings hatte sie ihn dort nur abgesetzt. Sie dachte nicht daran, ihm auch noch die Hand zu halten. Der zweite Mittagskellner hatte sich krank gemeldet, weil er ein Furunkel in der Nase hatte. Und deshalb war alles an Liza und Nick hängen geblieben. Stellina sollte eigentlich auch hier sein, verdammt noch mal, dachte Liza, statt in den Bergen Grüne Göttin zu spielen. Dann jedoch fiel Liza ihr Yoga ein. Wenn man seine kleine Schwester verfluchte, konnte man keine Yoga-Ãbungen machen. Also holte sie tief Luft.
Ein Auto hielt vor dem Café. Zwei junge Männer saÃen darin. »Hey, Liza!«, rief der Fahrer. »Ich binâs, Ricky. Ich dachte, du wärst in London und hättest eine tolle Zeit.«
»Ich habe auch eine tolle Zeit, Ricky. Ich gehe im Herbst auf die London School of Economics.«
Ricky lieà den Motor aufheulen. Liza lehnte sein Angebot, mit ihm auszugehen, ab, und er brauste davon. Er war ihr Begleiter zum Schulball gewesen, und danach hatte sie sich ein paar Mal mit ihm auf dem Rücksitz im Wagen seines Vaters vergnügt, aber mehr wollte sie auf keinen Fall von ihm. Liza hatte 1971 als Beste ihres Jahrgangs die Highschool abgeschlossen und war anschlieÃend nach Vassar gegangen, wo sie ebenfalls ihr Examen mit Auszeichnung bestanden hatte. Obwohl ihr Vater sie immer in Stanford gesehen hatte, hatte sie sich für Vassar entschieden, weil es weit genug von Skagit County und ihrer Familie entfernt war. Am liebsten wäre Liza überhaupt nicht mehr nach Washington zurückgekommen, aber im Café Eden konnte sie Geld verdienen, umsonst wohnen und für London sparen.
Sie ging wieder hinein, vorbei an der Schiefertafel, auf der die Spezialitäten des Tages standen: Gegrilltes Hühnchen mit Portobello- und Sherry-Sauce, Steak mit grüner Sauce, Marindas Red Snapper, in Maisblättern gedämpft, mit Zucchini, Pasta Pierino. Nichts davon reizte Liza; sie aà am liebsten Tofu und Miso-Suppe, und wenn sie sich unbeobachtet glaubte, schlang sie extravagante Desserts in sich hinein.
Im Restaurant war kaum noch ein Gast, und drauÃen, auf dem gepflasterten Innenhof, befand sich niemand mehr. Es war aber auch zu heiÃ, und die Ventilatoren, die sich träge an den hohen Decken drehten, bewirkten so gut wie gar nichts. Die Tische im Lokal waren mit makellos weiÃen Tischdecken gedeckt, und auf jedem stand eine kleine Vase mit Blumen, die bereits ein wenig die Köpfe hängen lieÃen.
In der Küche herrschte eine Temperatur wie im Hochofen. Als Liza eintrat, schob ihre Mutter gerade einen Käsekuchen in den Backofen. Sie tat das immer mit einer Zärtlichkeit, die Liza überraschte, als ob sie
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