Cagot
Fragen?
Er schaute wieder zu Dresler.
Der alte Mann war vor Angst auf die Knie gesunken.
»Jetzt hören Sie gut zu, Herr Doktor«, knurrte Angus. »Sie haben genau zwei Minuten Zeit. Wo sind die Unterlagen?«
Er hob die Pistole und drückte sie gegen Dreslers Schulter. »Als Nächstes schieße ich Ihnen in den Arm. Hier, am Schulterblatt. Kann gut sein, dass Ihnen die Kugel den ganzen Arm abreißt …«
Der alte Nazi zitterte unkontrolliert.
»Ja! Gut, gut!« Er hob eine leberfleckige Hand. »Sie sind auf Shark Island.«
»Wo?«
»Ich sage Ihnen doch, auf Shark Island. Sehen Sie selbst nach.« Dresler war immer noch außer sich vor Angst. Im Schritt seiner Hose war jetzt ein dunkler Fleck. Er hatte vor Angst in die Hose gemacht.
»Auf Shark Island? Wo da? Warum? Das verstehe ich nicht.« Angus drückte die Pistole fester gegen Dreslers Schulter. »Los, erklären Sie schon.«
»Aber … aber …« Als rechnete er jeden Moment mit seiner Exekution, schloss der alte Mann schaudernd die Augen und begann, unverständliches Zeug zu murmeln. Oder betete er?
Und dann öffnete Dresler seine traurigen alten Augen wieder. Er sah David an und dann Amy. Und schüttelte den Kopf. »Nein … Sie werden es nicht tun.«
»Was werden wir nicht tun?«
»Mich umbringen. Sie haben nicht den Mumm dazu. Nein.«
Mit einem wilden Fluch drückte Angus erneut ab. Diesmal schoss er in den Fußboden. Nur Zentimeter an den Füßen des alten Manns vorbei. Holzsplitter stoben durch die Luft.
Doch der alte Nazi ließ sich jetzt nicht mehr einschüchtern. Seine Augen blitzten vor stumpfem Trotz, als er entschlossen den Kopf schüttelte. Vielleicht lag es auch daran, dass er sich mehr als vor seinen Besuchern vor dem fürchtete, was ihm möglicherweise drohte, wenn er ihnen das Versteck von Fischers Unterlagen verriet.
Amy hielt es nicht mehr aus.
»Angus - du kannst ihn doch nicht einfach erschießen …«
Angus fuchtelte wütend mit der Pistole herum.
»Aber Kellerman hat gesagt, er weiß es …«
Es war eine Pattsituation. So kämen sie nicht weiter. Angus hatte die Pistole weiter auf Dreslers Kopf gerichtet, aber David wusste, dass der alte Deutsche recht hatte. Angus brächte es nicht über sich, ihn zu erschießen. Einen kaltblütigen Mord zu begehen. Er wäre nicht imstande, diesen jämmerlichen alten Mann mit seiner peniblen Schrift umzubringen.
Penible Schrift? Mit einem leisen Klicken begann sich ein gut geöltes Räderwerk in Davids Kopf in Bewegung zu setzen. Er holte so laut Luft, dass alle es hören konnten. Natürlich. Das Adressbuch.
»Halt!«, rief David.
Alle wandten sich ihm zu.
»Er hat mich erkannt«, stieß er aufgeregt hervor Angus starrte ihn entgeistert an. »Was?«
»Jetzt ist mir alles klar. Dresler. Er kennt mich. Ich komme ihm bekannt vor.«
Amy wollte etwas sagen, doch David ließ sie nicht zu Wort kommen: »Angus. Wo hat Dresler gewohnt, bevor er nach Lüderitz kam?«
»In Frankreich. In der Provence.«
»Da haben wir es.« Aufgeregt deutete David auf den knienden Nazi. »Er hat mich sofort erkannt. Gleich als ich zur Tür hereinkam. Ich habe es an seinem überraschten Blick gesehen.« Er beugte sich zu Dreslers schweißüberströmtem Gesicht hinab. »Stimmt’s, ich komme Ihnen bekannt vor? Sie kannten nämlich meinen Vater. Er hat Sie damals aufgespürt. Irgendein Überlebender aus dem Lager in Gurs muss meinem Vater von Ihnen erzählt haben, und darauf hat er sie in der Provence ausfindig gemacht.« Er beugte sich noch weiter zu dem vor Angst zitternden Deutschen hinab. »Und mein Vater drohte Ihnen damit, Ihre Vergangenheit publik zu machen … deshalb haben Sie ihm alles gestanden … oder ihm geholfen … ich habe doch recht, oder nicht?«
Dresler schüttelte den Kopf. Stumm. Entschlossen und stumm. Doch sein Schweigen war nicht überzeugend. Amy flüsterte: »Ich glaube, du hast recht. Sieh ihn dir an.«
David brauchte keine Bestätigung.
»Es ist die einzige vernünftige Erklärung. Irgendjemand muss meinem Vater von dem Kloster erzählt haben. Jemand, der in das Geheimnis eingeweiht war. Jemand, der selbst tief in die Sache verstrickt war. Zum Beispiel ein alter Nazi aus Gurs … der Mitglied der Piusbruderschaft wurde … so jemand hätte wissen müssen, wo die Forschungsunterlagen versteckt waren. Und dieser Jemand waren Sie. Sie haben meinem Vater alles erzählt … aber dann mussten Sie vor Ihren eigenen Leuten fliehen. Sie sind in Namibia untergetaucht… hier …«
David
Weitere Kostenlose Bücher