Cagot
solcher …« Angus zuckte mit den Achseln. »Ich habe ja keinen Beweis dafür und werde jetzt wahrscheinlich auch keinen mehr finden - aber das war eine Entdeckung von solcher Tragweite, dass sie den Anstoß zur Vernichtung der Juden gegeben hat. Und das Ganze war so brisant, dass die Nazi-Ärzte es auch nach dem Krieg noch als Druckmittel einsetzen konnten.«
»Leider verstehe ich immer noch nicht, worauf du hinauswillst.«
Angus schüttelte unwirsch den Kopf, fuhr aber mit seinen Ausführungen fort: »Bei Kriegsende hatten die Nazi-Ärzte von Gurs einen entscheidenden Trumpf in der Hand, mit dem sie sich ihr Leben und ihre Freiheit erkaufen konnten. Und dieser Trumpf waren Fischers Forschungsergebnisse. Gerüchten zufolge hatten sie die Daten an einem geheimen Ort versteckt. In Europa, würde ich sagen. Wahrscheinlich irgendwo in Mitteleuropa, weil die Alliierten schon von allen Seiten auf das schrumpfende Dritte Reich zurückten.« Er beobachtete eine Weile das seichter werdende Wasser, bevor er fortfuhr: »Die Alliierten konnten es sich nicht leisten, sie ins Gefängnis zu stecken oder gar hinzurichten, weil sonst einer die Forschungsergebnisse publik gemacht hätte.«
Amy unterbrach ihn: »Die Ärzte wurden also nicht belangt und mussten keinerlei Konsequenzen tragen. Konnte Fischer deshalb trotz all seiner Verbrechen bereits 1945 wieder als Professor in Freiburg arbeiten?«
»Ganz richtig.«
»Und dieser Arzt in Lüderitz? Welche Rolle hat er gespielt?«
»Wenn stimmt, was Nathan gesagt hat, weiß Dresler, wo die Forschungsergebnisse versteckt sind.« Angus hob die Hand.
»Aber Vorsicht, bevor ihr euch zu große Hoffnungen macht … Tatsache ist, dass die Nazis die Daten an einem extrem schwer zugänglichen Ort versteckt haben und schon jede Menge Leute vergeblich versucht haben, sie zu finden. Aber wer weiß …« Angus machte eine Pause. »Vielleicht gelingt es uns ja, sie zu finden.«
Das ließ David aufhorchen. »Uns? Heißt das, du bist dabei?«
Angus strich sich mit den Fingern durch das rote Haar. Seine Augen leuchteten. »Klar. Habe ich jemals was anderes gesagt? Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Vielleicht weiß Dresler tatsächlich etwas über die Sache. Und wenn das so ist… will ich es auch wissen. Ich habe mich schon so lange und so intensiv mit dieser Frage beschäftigt, ich muss einfach Klarheit darüber haben, ob ich mit meinen Vermutungen richtiglag: über die Juden, Hitler, den Holocaust, die Baster.«
Er beugte sich vor und schlang ein Seil um einen Poller, als das Schlauchboot gegen den Pier stieß. »Aber zuerst müssen wir Dresler aufsuchen. Und die Wahrheit aus ihm herausfoltern.«
43
Nervös ging Simon die Hauptstraße des Fremdenverkehrsorts in den bayrischen Alpen entlang. Wegen des grauen Herbstwetters herrschte auf den Straßen wenig Betrieb, und es waren kaum Touristen unterwegs, nur ein paar vereinzelte Bergwanderer, die ihre im Wind flatternden Karten studierten.
Trotzdem war Simon innerlich unruhig. Ihm wäre die Anonymität eines Großstadthotels lieber gewesen, aber er wollte das Risiko vermeiden, seine Kreditkarte zu benutzen oder seinen Pass vorlegen zu müssen. Deshalb hatte er sich für einen Kompromiss entschieden, für Garmisch-Partenkirchen. Vor Jahren hatten er und Suzie hier einmal Urlaub gemacht.
Suzie.
Suzie und Conor.
Suzie und Conor und Tim.
Er hatte in einem ungemütlichen, kalten Haus in einer hässlichen neuen Wohnanlage am Ortsrand Quartier bezogen und verbrachte die meiste Zeit in der Stadt, wo er entweder von Telefonzellen aus mit Sanderson und Suzie telefonierte oder in einem Internetcafé mit einer laut bimmelnden Glocke über der Tür und roten FC Bayern-Wimpeln an den Wänden vor dem Computer saß.
Auch jetzt zog ihn sein übermächtiger Drang nach neuen Informationen wieder ins Internetcafé. Als er das Mädchen an der Kasse grüßte, lächelte sie ihm mit einem kurzen Nicken des Erkennens zu und vertiefte sich dann wieder in ihre Zeitschrift. Er setzte sich an einen der freien Terminals und öffnete seinen E-Mail-Account. Er spürte seine Nervosität so deutlich wie einen schlechten Geschmack im Mund. Gab es Neuigkeiten von Tim? Über Tim? David und Amy? Was war mit seiner Frau und seinem Sohn?
Von den zwei neuen Mails, die er bekommen hatte, wollte er nur eine lesen. Bei der anderen, wusste er, handelte es sich um die Nachricht von Tims Entführern. Die Mail, vor der Sanderson ihn gewarnt hatte.
»Sehen Sie sie sich nicht an,
Weitere Kostenlose Bücher